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Bei Interview Mord

Bei Interview Mord

Titel: Bei Interview Mord
Autoren: Oliver Buslau
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ein alter Steinbruch«, erklärte er. »Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden hier Pflastersteine gehauen. Und die wurden dann mit einer Dampfeisenbahn rauf nach Müllenbach transportiert. Und von da aus ins Ruhrgebiet. Der Weg, auf dem wir hier stehen, war eine Schienentrasse. Später wurden die Bahnanlagen abgerissen und die Nägel, mit denen die Schwellen befestigt waren, rausgezogen. Manchmal findet man sie noch.«
    Er griff in seine Brusttasche, holte eine Schachtel Zigaretten hervor, betrachtete sie einen Moment und steckte sie wieder zurück. Dann hatte er plötzlich einen Kaugummi in der Hand und wickelte ihn aus.
    »Woher wissen Sie so gut Bescheid?«, wollte ich wissen und versuchte einen Witz: »Sie sehen nicht so alt aus, als hätten Sie das alles noch miterlebt.«
    Er lächelte. »Ich stamme hier unten aus dem kleinen Dorf Siepen«, sagte er und machte eine unbestimmte Handbewegung in den Wald - dorthin, wo es neben dem Weg abschüssig wurde. »Ich habe hier in den Steinbrüchen meine Kindheit verbracht. Es gibt keine Felswand, die ich nicht hinaufgeklettert wäre. Oder wo ich es nicht zumindest versucht hätte.«
    Wir hatten uns gemächlich wieder in Bewegung gesetzt und gingen zurück in die Richtung, wo das Auto stand.
    »Wohnen Sie in Müllenbach?«, fragte ich.
    »Nein, in Wiehl. Wir machen hier aber ab und zu eine kleine Rundwanderung. Wir parken oben am alten Skilift in Obernhagen, gehen diesen Weg nach Müllenbach und nehmen dann den Rückweg hintenherum.«
    Was auch immer hintenherum heißen mochte, ich fragte nicht danach. Wir setzten den Rückweg fort, und ich hielt immer noch den rostigen Nagel in der Hand. Theresa reichte mir ein Papiertaschentuch, in das ich das Ding einwickeln konnte. Ich machte ein längliches Päckchen daraus und steckte es in die Innentasche meines Sakkos. Ich hörte ein Rascheln und wunderte mich, was ich dort schon alles verwahrt hatte. Ich zog zwei Blätter heraus. Auf dem einen stand das Gedicht von Frau Tesch, das andere war der Zettel mit der Motorradzeichnung. Ich steckte beides zurück.
    »In diesen Steinbrüchen gibt's doch sicher viele Höhlen?«, fragte Theresa.
    Der Mann nickte eifrig, offenbar froh, auf Interesse zu stoßen. »Die Grauwacke ist weggesprengt worden, das Material ist nachgerutscht, und dabei haben sich darunter allerlei Höhlen gebildet. Mein Großvater hat übrigens in einem dieser Steinbrüche gearbeitet. Er hat die Pflastersteine rausgehauen, die dann mein anderer Großvater im Ruhrgebiet verarbeitet hat, der war nämlich Pflasterer. Stellen Sie sich das mal vor - der eine hatte die Steine des anderen in der Hand. Aber sie haben sich nie kennen gelernt.«
    »Gibt's hier auch richtige Geheimplätze?«, fing Theresa wieder an. »Weiter hier vorn, wo der Weg in den Wald geht zum Beispiel?«
    »Nicht nur da. Für uns Kinder war das ein Paradies… Dahinten, wo der Weg abzweigt, ist eine Mauer. Sind Sie da gewesen? Da gibt's noch einen richtigen Unterstand, wo die Arbeiter gestanden haben, wenn gesprengt wurde.«
    »Aber weiter vorn, gleich da, wo die Schranke ist?« Theresa ließ nicht locker.
    »Ach, Sie meinen den alten Tunnel? Kennen Sie denn das Gebiet?« Er war stehen geblieben und sah abwechselnd mich und Theresa an.
    »Nein«, sagte ich. »Aber ein Bekannter hat uns davon erzählt.«
    »Da kennt sich Ihr Bekannter hier aber gut aus. Hier kommen nämlich nur sehr wenige Leute hin. Dabei sind diese Steinbruchgebiete wildromantisch. Wie heißt Ihr Bekannter denn? Vielleicht kenne ich ihn?«
    »Winfried Kurz«, sagte Theresa.
    Der Mann dachte nach. »Kurz, Kurz… Der Name sagt mir was. Da gab's auch mal einen, den wir in der Schule immer Winnie riefen. Der war aber schon was älter… Und der hat uns immer verprügelt. Lange her… Und zu dem haben Sie Kontakt? Grüßen Sie ihn mal von Ulrich Menninger, vielleicht erinnert er sich.«
    Theresa und ich sahen uns an. Die Welt hier draußen war klein. Aber es passte alles zusammen.
    Nach einer kurzen Wegstrecke, unmittelbar hinter dem Eingang zum Wald, bog Menninger ein paar Zweige zurück. Ein Stück weiter oben war ein bewachsener Hang erkennbar, unterbrochen von einer gemauerten Rundung. Der Tunnel. Etwa drei Meter hoch. Man konnte glatt hindurchsehen. Auf der anderen Seite schimmerte es hellgrün.
    »Das meinen Sie wahrscheinlich.«
    Ich nickte. Wenn man nicht wusste, was hinter den herabhängenden Ästen verborgen lag, konnte man tausendmal daran vorbeilaufen. Wir erklommen die kleine
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