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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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bleibt er. Vertrauen kann wachsen. Im Versorgungszentrum wechselt das Personal, nicht selten sogar sehr häufig, und bei jedem neuen Arzt muss der Patient sich neu orientieren. Das Recht auf freie Arztwahl wird dadurch faktisch eingeschränkt. Ref 3
    Vergütungszahlen als Grundlage für ärztliche Entscheidungen
    Bei einem Orthopäden sitzen heutzutage fünf Patienten nebeneinander, die alle auf eine Spritze in ihr Gelenk warten. Das ist wie am Fließband. Für ein Gespräch ist fast kein Raum. Wenn der Arzt auch als Belegarzt in einer Klinik arbeitet, ist die Hemmschwelle niedrig, ein künstliches Knie zu empfehlen. Neulich hörte ich in einem Beitrag in den Tagesthemen einen Orthopäden klagen, dass zu viel operiert wird. Er selbst würde 3000 Knieprothesen im Jahr implantieren. Das sind fast zehn am Tag, mehr als eine pro Stunde! Computerprogramme geben vor, wie die Behandlungen zu kombinieren sind, um am meisten Geld einzubringen. Ohne solche Programme kann ein Arzt oder ein Krankenhaus kaum wirtschaftlich arbeiten. Der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie erklärte auf dem Chirurgenkongress 2010, dass über Diagnose- und Therapieverfahren viel zu häufig auf der Grundlage von Vergütungszahlen entschieden wird. Der Arzt, der für eine Beratung 4,66 Euro erhält, erhöht durch besser
bezahlte Maßnahmen sein Honorar. Verwunderlich ist das nicht. Im ambulanten Bereich sind die Honorare für einige ärztliche Leistungen so niedrig, dass zum Beispiel Neurologen und Kinderärzte heute teilweise ihre Kosten kaum decken können. Durch die Budgetierungen werden sie für Leistungen bestraft: der Arzt, der zu viele Medikamente verschreibt, muss der Krankenkasse Regress leisten. Und die Kliniken bekommen Fallpauschalen – für eine bestimmte Erkrankung gibt es eine vorher festgelegte Summe.
    In weiten Teilen Deutschlands wird es schwierig, genügend qualifiziertes Personal zu finden. Vor allem auf dem Land gibt es nicht genug Ärzte. In den großen Städten ist das anders, die sind attraktiv. Aber wer will schon in eine Kleinstadt, auf ein Dorf mit wenig Infrastruktur für die Freizeit? Ref 4
    Die aktuelle Situation in Zahlen
    Ein paar Zahlen des Statistischen Bundesamtes: 2010 wurden 47 Millionen Eingriffe durchgeführt, das sind fünf Prozent mehr als in 2009. 14,9 Millionen waren Operationen, davon 320 000 am Darm, 280 000 Gelenkspiegelungen und 154 000 an der Wirbelsäule. In Deutschland bekommen mehr als doppelt so viele Patienten ein künstliches Kniegelenk wie in Großbritannien oder Frankreich. Wie ich bei einem Vortrag in Medizinrecht von Dr. Jochen Gottstein im April 2012 erfuhr, waren es im Jahr 2009 170 000 – das sind 25 Prozent mehr als noch in 2001.
    Dazu trägt sicher eine vermehrte Überdiagnostik bei, die möglicherweise damit zusammenhängt, dass die Zahl allein der MRT-Geräte (Magnet-Resonanz-Therapie-Geräte) in acht Jahren um 72 Prozent gestiegen ist. 2010 hatten wir in Deutschland bereits 826 solcher Geräte. Diese müssen ausgelastet werden, damit sie sich rechnen. Der Patient fordert diese Untersuchung aber auch immer mehr ein. Mit dem MRT können der Arzt und der Patient Restzweifel bezüglich der Diagnose fast beseitigen. Aber je besser die Diagnostik, umso häufiger folgen operative Therapien. Dazu kommt die Ungeduld des Patienten. Er will schnell wieder fit sein und nicht über viele Monate hinweg Physiotherapien machen müssen. Und wenn das nicht klappt? Wenn er leider doch nicht
sofort nach der Behandlung oder Operation wiederhergestellt ist? Nun, dann hat der Arzt etwas falsch gemacht, dann ist dem Arzt ein Fehler unterlaufen.
    Vor einiger Zeit hatten wir im Umland von Berlin folgenden Fall: Da wurde ein Patient in die Notaufnahme eines kleinen Krankenhauses gebracht. Er hatte ein großes Loch im Magen. Die Ärzte fühlten sich überfordert, den Mann chirurgisch zu versorgen. Sie sagten: »Warten wir mal ab, vielleicht deckelt sich das noch.« Der Mann bekam eine Blutvergiftung und starb. In dem Krankenhaus arbeiten fast nur Ärzte, die kaum Deutsch sprechen. Sie sind zwar gut qualifiziert, aber sie können sich eben nicht gut verständigen. Eigentlich hätten sie den Mann in das Nachbarkrankenhaus verlegen müssen, in dem es einen Chirurgen gab, der ihn hätte operieren können. Aber das haben sie unterlassen – vielleicht, weil es ihnen zu kompliziert war, das Problem in Worte zu fassen.
    Die Folgen der Zeitoptimierung des modernen Gesundheitssystems
    Auch der
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