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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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fehlte das Kreuz noch. Es war erst später eingefügt worden. Ein klares Indiz, ein Hinweis darauf, dass jemand bemüht war, etwas zu vertuschen. Aber das allein würde nicht reichen, um uns in einem Klageverfahren recht zu geben. Denn auch wenn man die Schilddrüse nur zu einem Teil entfernt hätte, so können daraus Stimmbandlähmungen und der Verlust der Nebenschilddrüsen als Komplikation auftreten; nur eben nicht so oft. Die Chancen standen gut. Aber der Beklagte könnte im Falle eines Unterliegens noch Berufung einlegen und das Berufungsverfahren würde weitere Zeit kosten. Mit einem Vergleich wäre das ausgeschlossen.
    Auch meine Mandantin ist bestrebt, das Verfahren abzuschließen. Es zieht sich nun schon so lange hin. Und obwohl die Sache lange her ist, muss sie sich immer noch damit befassen. »Irgendwann will man damit abschließen«, sagt sie. Aber ein bisschen mehr sollte schon drin sein. Schließlich haben wir nicht nur das Schmerzensgeld, sondern auch einen Feststellungsantrag gestellt. Dieser betrifft Schäden, die noch nicht absehbar sind. Wir arbeiten damit, wenn wir noch nicht wissen, wohin die Reise geht. Manchmal kann niemand voraussagen, was noch auf einen Patienten zukommt – bei
Geburtsschäden können es Millionenbeträge sein. Schäden, die sich aufgrund des Tatbestandes entwickeln werden, sind dann von dem Urteil erfasst – und damit auch die Option, alle künftigen Kosten an die Versicherung weiterzugeben. Unser Vergleich sieht vor, dass diese Option entfällt. Es werden keine weiteren Ansprüche seitens der Klägerin mehr gestellt werden. Damit kommen wir der Versicherung ein großes Stück entgegen.
    Ungerührt nimmt die Anwältin der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses – und damit des Arztes – unseren Vorschlag entgegen. Schließlich muss diese für den Schaden aufkommen, ähnlich wie bei der KFZ-Versicherung. Sie blättert in ihren Akten. Dann nimmt sie ihr Handy. Sie müsse eben telefonieren und fragen, ob die Versicherung da mitgeht. Und wieder wird die Sitzung unterbrochen.
    Meine Mandantin ist ziemlich blass geworden. Ihr setzt das Verfahren zu. Erinnerungen steigen auf. Sie erzählt noch einmal, wie blauäugig sie in die Operation gegangen war, voller Vertrauen. »Ich dachte, das wäre eine Kleinigkeit, eine Routine, so wie bei einer Blinddarmoperation, schnell gemacht und schnell vergessen«, sagt sie, »und dann war es wie ein Albtraum, als ich aufgewacht bin und nicht mehr sprechen konnte.« Der Sachverständige sieht sie aufmerksam an. Er fragt sie, ob nur das Sprechen ihr schwerfällt oder auch das Atmen. Und sie erzählt, wie jeder kleine Infekt sie angreift. Wie sie dann die Nächte auf der Couch verbringt, weil sie, wenn sie flach liegt, Angst hat zu ersticken. Die beiden verwickeln sich in ein Gespräch über Notfallpläne: Wie man einen Schnitt in die Luftröhre macht und ein Röhrchen einsetzt, um einen künstlichen Atemweg zu schaffen. Und dann sagt der Sachverständige den entscheidenden Satz: Wenn sie zu ihm gekommen wäre, um sich eine Zweitmeinung einzuholen, hätte er zu ihr gesagt: »Diese OP machen wir nicht.« Sie hätte ihre Schilddrüse behalten. Frau König fühlt sich schuldig. »Ich hätte den Arzt sorgfältiger aussuchen müssen«, sagt sie. »Aber das weiß ich heute. Das nützt jetzt nichts mehr.«

    Die gegnerische Anwältin kommt zurück in den Saal. Es tue ihr leid, sie könne den Ansprechpartner bei der Versicherung leider nicht erreichen. Der sei zu Tisch. Sie habe zwar Vorabgespräche geführt, aber eine endgültige Regelung könne sie jetzt nicht treffen. Wir einigen uns darauf, den Vergleich unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu schließen. Die Versicherung hat drei Wochen Zeit, zu widerrufen. Der Richter blickt die Anwältin streng an. »Sie meinen, dass der Vergleich dann auch hält?«, fragt er. Wenn nicht, müsste er den Sachverständigen ein zweites Mal laden, neue Kosten entstünden und das Verfahren zöge sich weiter in die Länge. Die Anwältin hält sich bedeckt, natürlich kann sie für ihre Mandantin, die Haftpflichtversicherung, keine feste Zusage machen. Aber sie deutet an, dass die Chancen gut stehen.
    Die Gerichtsdienerin nimmt das Protokoll auf. Sie tippt es in den Computer, dessen eleganter Flachbildschirm sich in den würdigen Raum erhebt. Es gibt noch eine kurze Verwirrung. Denn die Klinik, in der damals die Operation stattfand, gehört heute zu einem anderen Konsortium als damals. Wie genau ist der Name, der in das
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