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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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verhandelt wird. Ein menschliches Schicksal. Und zwar eines, dessen Auslöser eine Operation war. Im Vergleich zu der Architektur des Landgerichts wirkt ein Operationssaal eher außerirdisch – modern, abweisend, steril, die Menschen verhüllt in grün oder blau, mit Mundschutz und Häubchen, sodass man sogar die eigenen Freunde kaum erkennt.
    Meine Mandantin ist schon da. Birgit König ist eine junge Mutter, die vor acht Jahren nach einer Operation aufwachte und nicht mehr sprechen konnte. Eigentlich hatte man ihr nur einen Teil der Schilddrüse entfernen wollen und in diese Operation hatte sie eingewilligt. Der Anästhesist kam und versetzte sie in den Ruhezustand. Dann ist irgendetwas passiert. Denn als die Betäubung nachließ, waren die Stimmbänder gelähmt. Später wurde festgestellt, dass die vier Nebenschilddrüsen, die unseren Calcium-Haushalt kontrollieren, nach dem operativen Eingriff auch nicht mehr vorhanden waren. Wie das geschehen konnte, ist bis heute unklar. Die Behandlungsunterlagen helfen wenig weiter. Klar ist nur: Das war nicht abgesprochen. Auch der Sachverständige, ein Professor und Experte in Schilddrüsenangelegenheiten, ist schon erschienen. Er sitzt, in einen dicken Roman vertieft, auf der Bank. Die Gerichtsdienerin kommt, um den Saal aufzuschließen. Der Saal ist elektronisch gesichert, sie hält einen Chip vor die Tür und ein blaues Lämpchen leuchtet. Dass es hier keine dicken, klirrenden Schlüsselbunde mehr gibt, macht klar, dass wir uns in der Gegenwart befinden.

    So treten wir ein in einen würdevollen Saal. Die Wände sind mit Holz vertäfelt und mit stilisierten Blüten bemalt. Die Fenster sind bleiverglast, die Decken gewölbt, die Mauern dick wie in einer Ritterfestung, und wäre da nicht mein modernes Handy, welches ich brav ausschalte, würde ich mich fühlen wie in der Jugendstilzeit. Die Gerichtsdienerin nimmt die Personalien auf. Wir warten auf die Richter. In manchen Sälen müssen die Prozessbeteiligten während der Verhandlung stehen. Wir sitzen in diesem Saal an sachlich zweckmäßigen und zeitgemäßen Tischen, die in einem Oval stehen, auf der einen Seite der Kläger, auf der anderen Seite der Beklagte und zwischen uns nimmt der Sachverständige Platz. Die Kammer, die aus drei Richtern besteht, kommt pünktlich zu dem Termin herein. Wir stehen auf. Ehre wem Ehre gebührt. Ich finde das gut.
    Der Vorsitzende redet nicht lange und kommt direkt zum Punkt. »Wir haben uns die Unterlagen gründlich angeschaut«, sagt er, »und wir würden Ihnen zu einem Vergleich raten.« Er nennt auch gleich einen Betrag. Eine ähnliche Summe hatte ein anderes Gericht einer Mandantin nach einer ähnlich verlaufenen Schilddrüsenoperation zugesprochen. Aber jeder Fall ist anders. Urteile aus anderen Verfahren können nur als Richtwerte dienen. Ich hatte in der Klageschrift fast das Doppelte eingefordert – meine Mandantin ist Anwältin, sie hat früher oft Vorträge gehalten, aber auch acht Jahre nach der Operation ist ihre Stimme gebrochen. Sie wird ohne Mikrofon nie wieder Reden halten. Und ich finde, dass man bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch den Beruf und das Umfeld berücksichtigen muss, schließlich soll es dem einzelnen Kläger Genugtuung bringen. In diesem Fall erscheint mir der vom Gericht genannte Betrag deutlich zu wenig. Meine Mandantin zeigt wenig Regung. Sie schiebt mir ein Papier zu, auf dem sie ausgerechnet hat, was allein die Medikamente sie kosten, die sie nun für den Rest des Lebens einnehmen muss. Legt man die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen zugrunde, dann liegen noch 46 Jahre vor ihr, das sind
16 790 Tage, an denen sie Medikamente einnehmen muss, um die Funktion der Schilddrüse zu ersetzen. Allein die Kosten dafür liegen schon annähernd bei 25 000 Euro.
    Meine Mandantin und ich bitten, das Verfahren zu unterbrechen, um uns kurz beraten zu können. Sollen wir uns auf den Vorschlag einlassen? Ich bin sehr dafür zu versuchen, heute zu einem Vergleich zu kommen,
    durch den die Angelegenheit endgültig abgeschlossen würde. Es gibt vieles, was für uns spricht, auch, dass jemand versucht hat, die Unterlagen zu manipulieren: Plötzlich war da ein Kreuzchen mehr. Ein Kreuz in der Einverständniserklärung. Und damit sah es so aus, als sei es völlig in Ordnung gewesen, auch die ganze Schilddrüse zu entfernen und nicht nur einen Teil derselben. Mir war das gar nicht aufgefallen, denn in den Unterlagen, die das Krankenhaus mir geschickt hatte,
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