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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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Ablauf bei stationären Behandlungen wurde optimiert. Das Gesundheitssystem ist heute von möglichst kurzen Liegezeiten geprägt. Früher hat der preisgünstige, unkomplizierte Patient den teuren Patienten finanziert. Das war eine Mischkalkulation. Heute gibt es DRG – diagnostic related groups –, es wird fallbezogen abgerechnet. Die Mischkalkulation wurde aufgegeben. Die Patienten werden schnell wieder auf die Straße gesetzt. Die Klinik ist teuer, was ambulant gemacht werden kann, das wird auch ambulant gemacht. Und nach stationären Behandlungen werden die Patienten schneller wieder nach Hause entlassen. Oft bleiben sie nach einer Operation nur bis zum nächsten Morgen in der Klinik.
    Der Durchlauf ist gewaltig. Eine chirurgische Abteilung, der ich verbunden bin, hatte früher 170 Betten. Mittlerweile hat sie nur noch 70. Aber die Anzahl der Operationen ist fast gleich geblieben. Das schaffen sie, weil sie die Patienten schnell wieder entlassen. Im Jahr 2000 betrug laut Statistischem Bundesamt die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus 9,7 Tage, im Jahr 2010 nur noch 7,9 Tage.

    Die Kliniken haben die Abläufe optimiert und arbeiten mit viel moderner Technik, aber nicht mit mehr Personal. Das führt zu sehr engen Zeitfenstern und dann dazu, dass der Arzt seine Patienten oft kaum noch wiedererkennt. Aus Christine Meyer, Mutter von zwei fröhlichen Kindern, ist die »Meniskusläsion rechts« geworden. Und aus Martin Baumann, kinderloser Sporttherapeut mit eigener Praxis und zutraulichem Hund, der »Bandscheibenvorfall auf Zimmer 312«.
    Der erste Paragraf der medizinischen Behandlung lautet für mich: »Der Arzt hört dem Patienten zu und ordnet seine Beschwerden, nach notwendiger Diagnostik, einer Krankheit und damit einer Therapie zu.« Dieser Schritt wird zunehmend übersprungen. Ich sage immer: Hört dem Patienten zu, denn er kann seine Beschwerden am besten beschreiben. Aber wer soll ihn wann anhören?
    Auch die Klinikaufenthaltszeiten werden immer kürzer. Früher blieb zum Beispiel ein Patient, der an der Gallenblase operiert wurde, sieben Tage in der Klinik. Diese bekam für jeden Tag Geld. Der Patient kam am Montagmorgen, bezog sein Zimmer, richtete sich ein, lernte die Krankenschwestern und den Stationsarzt kennen und sprach mit dem Anästhesisten. Ihm wurde Blut abgenommen, er wurde geröntgt, ein EKG wurde geschrieben, und dann wurde er am nächsten Tag operiert. Bei der Visite am Nachmittag erfuhr der Stationsarzt von der Krankenschwester, was sich am Tage ereignet hatte, und gab diese Information in der Nachmittagsbesprechung an die Kollegen weiter, sodass alle Ärzte in der Abteilung Bescheid wussten. Der Arzt konnte den Patienten kennenlernen, sich Zeit für ihn nehmen und quasi mit dem Patienten gesund werden.
    Heute kommt der Patient am Montagmittag in die Klinik, um mit dem Anästhesisten zu sprechen. Labor und EKG bringt er mit, die sind ambulant gemacht worden. Auch die Diagnostik ist fertig. Der Anästhesist führt das Aufklärungsgespräch und gibt dem Patienten die Medikamente, die er vorab nehmen muss. Nachmittags ruft der Patient an und erfragt, wann er am nächsten Tag da sein soll. Am Dienstag kommt er dann zur angegebenen Zeit nüchtern
in das Krankenhaus. Wenn er Glück hat, ist sein Zimmer schon frei und er kann seine Sachen in den Schrank legen und sich sein Operationshemd anziehen. Wenn er Pech hat, ist der Vorgänger noch nicht entlassen und er muss erst einmal in ein Nachbarzimmer, einen Wartesaal. Von dort wird er dann in den Operationssaal geschoben und operiert. Wenn er aufwacht, bezieht er sein Zimmer. Nach drei Tagen wird er entlassen, wenn er länger bleibt, wird er für die Klinik zum Verlustgeschäft. Sie bekommt eine Pauschale für die Operation. Wenn sie ihn schneller nach Hause schickt, wird ihr das vom Honorar abgezogen, behält sie ihn länger, zahlt sie drauf. Für ein persönliches Gespräch bleibt da wenig Zeit, es gelingt kaum noch, sich mit dem Patienten gemeinsam auf den Weg zum Gesunden zu machen. Der hohe Durchlauf an Patienten birgt auch neue Fehlerquellen.
    Hinzu kommt: Die Schwester vom Frühdienst ist am Nachmittag nicht mehr da und auch die Ärzte wechseln. Ärztemangel und Arbeitszeitgesetze lassen den Luxus einer personellen Kontinuität nicht zu. Die Arbeitsschutzgesetze im Gesundheitswesen sind nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs überarbeitet worden. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Mitarbeiter ihre Dienst- und
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