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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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es zum Beispiel ein handschriftliches Kapnogramm, eine Kurve, die zeigte, wie viel Kohlendioxyd Herr Werner ausgeatmet hatte. Ich hatte so etwas in dieser Form noch nie gesehen. Auch der beratende Anästhesist fand die Zeichnung ungewöhnlich. Mein Verdacht war, dass jemand diese Kurve nachträglich eingefügt hatte, aber beweisen konnte ich das nicht.

    Behandlungsfehler sind ein heikles Thema im Gesundheitssystem. Jeder weiß, dass sie vorkommen. Aber nur selten wird darüber geredet. Das hat Gründe. Ein Arzt geht grundsätzlich mit dem tragenden Gefühl in die Behandlung, dass alles gutgehen wird. Er handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Dass dennoch manchmal etwas schief geht, dass es auch ihm passieren kann, dass er auf bestimmte Konstellationen nicht adäquat reagiert, Befunde übersieht oder von falschen Annahmen ausgeht, blendet er aus. Das ist auch erst einmal gut so. Denn ein Arzt könnte einen Patienten nicht behandeln, wenn er nicht an sich glauben würde. Er muss von seinen eigenen Fähigkeiten und von dem, was er macht, überzeugt sein. Wenn er immer nur im Blick hätte, was alles schiefgehen kann, würde ihn das so sehr verunsichern, dass er nahezu handlungsunfähig wäre. Aber wenn ihm tatsächlich einmal ein Fehler unterläuft, dann macht genau diese Grundannahme, dass alles gut gehen wird, eine außergerichtliche Einigung zuweilen schwierig. Denn einzugestehen, dass er einen Fehler gemacht hat, hieße auch zu sagen, dass seine Grundannahme des »Gutgehens« falsch war.
    Ich verfasste in üblicher Weise ein Anspruchsschreiben und bat um eine Haftungsanerkennung dem Grunde nach. Der Gegner sollte zugeben, dass sein fehlerhaftes Verhalten zu Herrn Werners Schaden geführt hatte. Ich bezifferte die Höhe des Anspruchs wie üblich nicht. Geld emotionalisiert. Je höher die Ansprüche, desto weniger wird der Beklagte geneigt sein, die Haftung anzuerkennen. Doch auch ohne Summen lehnte der Anästhesist, der Herrn Werner behandelt hatte, den Anspruch ab. Immerhin führte der Briefwechsel aber dazu, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung, mit der ich mittlerweile die Korrespondenz führte, ein Privatgutachten anfertigen lassen wollte. Ich war einverstanden. Vielleicht konnten wir uns außergerichtlich einigen.
    Noch bevor ich das Gutachten in den Händen hielt, wurde mir zugetragen, dass es in Fachkreisen bereits diskutiert worden war. Skeptisch las ich es durch. Es war schlecht. Teile
des Tatbestandes waren ausgelassen, Stellungnahmen des tätigen Anästhesisten, der diese etwa anderthalb Jahre später verfasst hatte, wurden weit mehr gewichtet, als die zeitnahe Dokumentation auf dem Anästhesie-Protokoll. Der Gutachter warf mit Fachbegriffen nur so um sich. Erinnern kann ich mich noch gut, dass er mit der Umkehrung des Euler-Liljestrand-Reflexes argumentierte. Ich rief mir diesen Reflex in Erinnerung: Er tritt ein, wenn in einem Teil der Lunge zu wenig Sauerstoff vorhanden ist. Dann verengen sich die Gefäße, um zu verhindern, dass Blut die Lunge passiert, ohne mit Sauerstoff angereichert zu werden. Aber Umkehrung? Was sollte ich denn darunter verstehen? Einen Paradiesvogel hatte der Gutachter geschaffen, eine Erklärung, die so exotisch war, dass man nur staunen konnte. Er hatte sie mit einigen wenigen Einzelfallbeschreibungen belegt. Ich fühlte mich überfordert. Auf diesem fachlichen Niveau konnte ich nicht mithalten. Die außergerichtliche Einigung misslang, doch zum Glück hatte Herr Werner eine Rechtsschutzversicherung, welche die Deckungszusage und damit die Kostenübernahme für das gerichtliche Verfahren erteilte, sodass wir Klage vor dem Landgericht erheben konnten.
    Das Gericht beauftragte einen Sachverständigen, der daraufhin Licht in das Dunkel brachte. Er argumentierte nicht mit Paradiesvögeln, sondern blieb bei den Spatzen. Aber er machte klar, dass wir die Fehlintubation nicht würden nachweisen können.
    Es war ein gruseliges Verfahren. Auf der einen Seite war Frau Werner, in deren Leben seit dieser Operation nichts mehr so war wie vorher, die all ihr Geld und das Geld ihrer Familie dafür aufwendete, ihren Mann in einem Pflegeheim versorgen zu lassen, und die seither sogar Weihnachten und Silvester im Heim verbrachte, weil sie ihn in seinem Wachkoma nicht allein lassen wollte. Und auf der anderen Seite war der Chefarzt, der dazu geholt worden war, als bei Herrn Werner das Drama begann. Er erklärte während der mündlichen Verhandlung mehrfach, er sei so froh gewesen, als
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