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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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Todesbringer«, »1712 Tote jedes Jahr durch Ärztefehler«, »Arzt wegen Abrechnungsbetrug entlassen« machen zusätzlich Mut, Behandlungsverläufe, Operationen oder andere medizinische Eingriffe überprüfen zu lassen. Manchmal zerschlägt sich der Verdacht. Aber oft auch nicht. Denn mit der Zahl der Eingriffe steigt naturgemäß auch die Fehlerquote.
    Die Situation aus Sicht der Ärzte
    Die Distanz wird auch dadurch vergrößert, dass der Arzt häufig in eine Angststarre verfällt, was seine Kommunikation mit dem Patienten einschränkt. Er hat Angst, dass die Abweichung des Istvom Sollverlauf, also die Tatsache, dass es dem Patienten statt besser nun schlechter geht, juristisch Folgen haben könnte. Auch wenn er als Arzt sich dafür nicht verantwortlich sieht. Er fürchtet, in juristische Fallstricke zu geraten, die zu straf-, berufs- sowie zivilrechtlichen Konsequenzen führen könnten. Wie oft erlebe ich,
dass mir Arztkollegen auf Fortbildungen erklären, dass sie nicht wissen, wie sie aufklären müssen. Sie sind hilflos und entwickeln übersteigerte Vorstellungen von dem, was die Rechtsprechung in puncto Aufklärung von ihnen fordert. Statt aktiv zu werden, fahren Ärzte dann eine Strategie des Vermeidens. Sie trauen sich nicht, mit dem Patienten zu sprechen und ihnen die aufgetretenen Komplikationen zu erklären – aus Angst, dass es so aussehen könnte, als würden sie damit ihre Schuld anerkennen, was sie versicherungsrechtlich nicht dürfen.

Als Herr Werner ins Wachkoma fiel
Ein Anästhesiefehler hatte schwerwiegende Folgen für den Rest des Lebens
    H eidemarie Werner ist eine gütige ältere Frau. Ihr Mann Axel fiel durch einen Narkosezwischenfall in ein Wachkoma. Niemand weiß, was in seinem Kopf vor sich geht. Er spricht nicht, zeigt keine Regung, reagiert nicht auf Dinge von außen. Dabei wirkt er wach und muss auch nicht künstlich beatmet werden, man kann ihn sogar in den Rollstuhl setzen und ins Freie fahren. Die Schwestern, Pfleger, Logopäden und Therapeuten geben sich viel Mühe, ihn zu aktivieren. Sie bewegen ihn im Bett, setzen ihn auf einen Fahrradergometer, massieren ihn und verwöhnen seine Geschmacksnerven mit Salami und Pralinen. Niemand weiß, ob er dabei etwas empfindet.
    Frau Werner besucht ihren Mann jeden Tag, oft sitzt sie von früh bis spät bei ihm. Sie lebt ihr Leben an der Seite eines Mannes, der auf nichts mehr reagiert. Zuerst nahm sie es als Schicksal hin. Vermutlich hätte sie auch klaglos akzeptiert, dass bei der Operation etwas schiefgegangen ist, wenn eine Ärztin sie nicht ermuntert hätte, die Sache überprüfen zu lassen. So kam sie zu mir.

    Sie war eine meiner ersten Mandantinnen. Ich hatte mich gerade selbständig gemacht und mit zwei Kollegen zusammen eine eigene Kanzlei eröffnet. Die Angelegenheit ihres Mannes war mein erster größerer Fall.

    Frau Werner erzählte mir, was geschehen war. Sie wolle klären, was da passiert sei, denn sie habe das Gefühl, ihrem Mann das schuldig zu sein. Ich ließ mir die Krankenakte kommen. Schnell war klar: Die eigentliche Operation war eine reine Routinesache gewesen. Doch offensichtlich war bei der Narkose etwas schiefgegangen. Nur: Was? Und: Würden wir das beweisen können?
    Ein Wachkoma wie bei Herrn Werner tritt typischerweise dann auf, wenn das Gehirn nicht mit Sauerstoff versorgt wird. Nach ausgiebiger Lektüre der Unterlagen war ich überzeugt, dass der Beatmungsschlauch falsch gesetzt worden war und man bei dem Mann, statt die Lunge zu beatmen, den Magen aufgeblasen hatte. Natürlich stand das so in den Behandlungsunterlagen nicht drin. Anästhesiefälle sind immer sehr schwer. Ich musste mich intensiv mit der normalen Physiologie des Menschen und mit der Pathophysiologie – den krankhaften körperlichen Veränderungen und den Gründen, die zu dieser veränderten Funktionsweise des Körpers geführt haben – beschäftigen. Musste klären, wie viel Luft nach dem Ausatmen noch in der Lunge und im Organismus bleibt, und wie lange ein Mensch ohne Sauerstoff sein kann, ohne dadurch Schaden zu nehmen. Musste prüfen, welche Medikamente Herr Werner bekommen hatte, ob er ein Risikopatient war und ob der Anästhesist erfahren genug war. Es ging nur um ein paar Seiten, die für mich relevant waren, aber die hatten es gehörig in sich.
    Ich bin keine Anästhesistin, deshalb arbeitete ich den Fall auf und diskutierte ihn mit einem meiner beratenden Fachärzte. Das schaffte Klarheit: Die Unterlagen waren nicht stimmig. Da gab
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