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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht
Autoren: Gunnar Staalesen
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fürchtete
er, ein ganz besonderes Empfangskomitee könnte ihn erwarten,
und warf immer wieder kurze Blicke über die Schulter, um
sicherzugehen, daß er mich direkt hinter sich hatte, als eine Art
Rückendeckung.
    »Ich habe eine Telefonnummer bekommen.« Er steuerte auf
einen Münzfernsprecher zu, warf zwei Kronen ein und wählte
die Nummer.
    Nach einer Weile fielen die Münzen.
Vassenden sah auf die Uhr, notierte etwas auf der Rückseite
seines Zugfahrscheins und sah sich noch einmal ängstlich um.
Danach schüttelte er den Kopf und sprach wieder in den Hörer.
Er hängte ein, stand da und starrte auf den Fahrschein in seiner
Hand, als hätte man ihm sein Todesurteil verlesen.
     
»I-ich habe eine Adresse bekommen. Weißt du, wo die
    Urtegate ist?«
»Nein.« Ich zeigte auf die Touristeninformation. »Wir fragen,
ob sie eine Karte haben.«
Eine freundliche Dame in Rot mit einem törichten Blick, den
sie Dolly Duck abgeschielt hatte, gab uns einen broschüreartigen
Stadtplan von Oslo, breitete ihn für uns aus und zeigte uns, wo
die Urtegate lag. »Zu Fuß seid ihr in zehn Minuten dort«,
flüsterte sie, als sei es ein Geheimnis, das wir nicht weitererzählen dürften.
    »Ni-ni-nicht mehr?« sagte Mons Vassenden, als hätte er
gehofft, es würde mindestens eine halbe Stunde dauern, und
kein Taxi weit und breit.
    Ein Rollband brachte uns gebührenfrei bis zum Hauptausgang.
Automatische Türen öffneten die Glaswände gerade weit genug,
um uns nach Oslo zu entlassen. Draußen auf dem Bürgersteig
blieben wir stehen und sahen uns um.
    Für jemanden, der an Oslo-Ankünfte am alten Ostbahnhof
gewöhnt war, wo der Haupteingang direkt zur Karl Johans Gate
zeigte, entstand nun der Eindruck eines eigenartigen Mangels an
Symmetrie, als wäre ganz Oslo ein Stück zur Seite und weiter
weg gerückt, hinein in den Fjord. Wie um in dieser Plateauverschiebung eine Art Orientierungssäule zu schaffen, hatte jemand
mitten auf dem Platz ein eigenartiges Monument aufgestellt. Es
ähnelte einem Glockenturm aus Stahl, Glas und Beton, ein
Thermometer, das man der Stadt in das Rektum gesteckt hatte.
Auf dem Asphalt standen Regenreste in flachen Pfützen. Hinter
einem weißen Vorhang suchte eine kurzsichtige Septembersonne nach dem Sinn des Lebens. Aber sie fand nur den Hauptbahnhof, an irgendeinem Mittwochmorgen, und zwei Reisende
mit unklaren Bilanzen, die Taschen voller Schuldscheine.
    Mons Vassenden drehte hilflos den Stadtplan hin und her.
»Verstehst du dich auf so was?«
Ich nahm ihm den Plan aus der Hand. »Einmal Pfadfinder,
immer Pfadfinder«, sagte ich und wandte mich nach Osten.
»Also müssen wir in – diese Richtung.«
Mit der einen Hand zeigte ich vage zwischen die zwei Einkaufszentren Oslo City und Galerie Oslo, das eine hoch und
optimistisch, das andere länglich und teilweise verdunkelt.
Hinter ihnen kämpften das Postgirogebäude und das Oslo Plaza
darum, den Horizont zu verdecken. Es schien, als hätte jemand
sie dorthin gepflanzt, mit dem einzigen Ziel, den Himmel
abzustützen. Um sie herum lag das alte Oslo in Ruinen. Wir
waren angekommen – in der Stadt mit dem zerbrochenen
Herzen.
Wir gingen los.
Der Hauptbahnhof und die Biskop Gunnerus’ Gate waren ein
Verkehrsschlauch geworden, dem weder die norwegische
Staatsbahn noch die Kirche ihren Segen geben konnte. Ein
ausgeklügeltes Katakombensystem von Fußgängertunnels führte
uns jedoch sicher auf die andere Seite hinüber, wo wir zwischen
Oslo City und Oslo Spektrum auftauchten.
Mons Vassenden zeigte auf die verglaste Fassade. »W-was ist
das?«
»Oslos Antwort auf die Royal Albert Hall. Eine Schnellgerichtmischung aus Eishockeyhalle und Konzertsaal. Als lägen
Grieghalle und Bergenshalle unter einem Dach.«
»Geht denn das?«
»Sagen wir mal so: Handball wird hier öfter gespielt als Frank
Sinatra.«
Wir kamen in die Stenersgate. Ich zeigte nach Osten, auf
Lilletorget und Vaterlands Bru. »Richtung Grønland.«
»O-o-h Sch-scheiße. Und ich hab’ meine Skier vergessen.«
Ich lachte höflich, um ihn aufzumuntern. »Dafür ist es wohl
noch etwas früh.«
Auf dem Grønlands Torg war auch sonst niemand, der daran
gedacht hatte, seine Skier mitzubringen. Ganz im Gegenteil, es
gab hier auffallend viele, die wohl kaum jemals Skier an den
Füßen gehabt hatten.
Mons Vassenden sah sich mit großen Augen um. »Ist es das
hier, was sie Klein-Karachi nen-nennen?«
»Ich glaube schon. Norwegens Antwort auf Chinatown, nur
daß
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