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Begraben

Begraben

Titel: Begraben
Autoren: Elena Sender
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Erawan die Sicherheitsschleuse öffnete.
    »Beeilt euch!«, rief er.
    Julien hielt Cyrille fest umschlungen und flüsterte ihr ins Ohr:
    »Sag mir, wenn du glaubst, dich bewegen zu können.«
    Cyrille kämpfte gegen eine Ohnmacht an. Die Geräusche kamen ihr unverhältnismäßig laut vor.
    Cyrille nickte kurz und biss die Zähne zusammen. Julien hob sie sachte hoch. Sie vergrub das Gesicht in Juliens Armbeuge, um ihr Stöhnen zu ersticken. Julien hielt sie fest umklammert und verließ taumelnd den Raum.
    Erawan half ihnen durch den Gang, dann ging er voraus.
    »Folgt mir, ich bringe euch zum Pier. Mit etwas Glück seid ihr in zwei Stunden in Ko Tao.«
    Cyrille öffnete noch einmal mühsam die Augen, drückte sacht Juliens Hand und verlor das Bewusstsein.

Epilog
    28.   Oktober, 18   Uhr
    »Den Nobelpreis für Medizin 2010 erhält der Franzose Émile Tardieu für seine Arbeit über die Wirkungsweise des Hormons Oxytocin …« Der Sprecher der Kurznachrichten sagte noch ein paar Sätze zu Tardieus Karriere, die mit dieser Auszeichnung ihren Höhepunkt erreicht hatte, und gab dann zu einem Direktinterview weiter. Cyrille schaltete das Autoradio ab. Sie parkte den Wagen an der Mauer eines provenzalischen Anwesens, des »Mas des Glycines«, wie ein schmiedeeisernes Schild verkündete. Den ganzen Tag über war sie gen Süden gefahren, den Kopf von Musik erfüllt, und hatte versucht, Bilanz zu ziehen und eine Entscheidung zu treffen. Die Narbe in Höhe der Rippen spannte. Cyrille fühlte sich noch schwach, die Kugel hatte einen Lungenflügel durchschlagen und die Verletzung hatte sich entzündet. Warum hat Benoît das getan? Cyrille biss sich auf die Lippe und versuchte, den Groll zu dämpfen, der jedes Mal in ihr aufstieg, wenn sie an ihren Mann dachte. Sie seufzte. Bei der Vorstellung, sein Werk der letzten Jahre könnte wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, war er vermutlich in Panik geraten, denn letztlich zählte für ihn nur sein Erfolg. Das war erbärmlich und sehr traurig. Wer warst du, Benoît? Wie konntest du deine Nichte angreifen? Und dann mich? Ging es dir wirklich nur darum, deine Karriere zu schützen? Oder wolltest du dich an Julien rächen?
    Tags zuvor war Cyrille aus dem Krankenhaus entlassen worden und hatte den Sarg ihres Mannes in Roissy in Empfang genommen. Man hatte Benoît im Kernspin-Raum von Ko Nang Yuan mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden, wahrscheinlich Selbstmord. Die Behörden waren durch E-Mails von Nino, Tony, Marie-Jeanne und Anuwat Boonkong alarmiert worden.
    Auf dem Weg zur Leichenhalle hatte Cyrille beschlossen, für die Beisetzung ihres Mannes nur das Nötigste zu veranlassen, da sie weder die Kraft noch den Wunsch hatte, eine Zeremonie zu seinem Gedenken zu organisieren. Würde sie ihm jemals vergeben können?
    Rama Supachai war verhaftet worden. Die thailändische Polizei hatte das Labor auf Ko Nang Yuan entdeckt und mit Erawans Hilfe alle entführten Kinder in Waisenhäusern untergebracht. Der Wissenschaftler wurde mehrerer schwerer Vergehen beschuldigt, die ihn für viele Jahre hinter Schloss und Riegel bringen würden. Von Ramas Cousin Pot gab es keine Spur, aber man hatte einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erwirkt.
    Zumindest hatte diese Tragödie vielen Kindern das Leben gerettet und diesen modernen Sklavenhandel aufgedeckt. Cyrille dachte an Rama Supachai, der seine Chance auf einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Wissenschaft aus Geldgier vertan hatte. Seine Arbeit und seine Entdeckungen würden mit ihm in Vergessenheit geraten.
    Cyrille löste den Sicherheitsgurt und stieg aus. Sie schlug die Autotür zu und schloss ab, obwohl sie sich sagte, dass so etwas hier eigentlich lächerlich war. Sie befand sich in der tiefsten Provinz am Fuße des Pic Saint-Loup, und weit und breit war kein anderes Haus zu sehen. Nachdem sie viele Stunden mit sich gerungen hatte, wusste sie nun genau, was sie zu tun hatte. Nach ihrer Rückkehr nach Paris würde sie sofort alles für Marie-Jeannes Hornhauttransplantation in die Wege leiten, damit ihre Nichte schnellstmöglich das Augenlicht zurückerhielt. Bis zu ihrer vollständigen Genesung würde sie sich selbst um Marie-Jeanne kümmern. Ich werde dir die ganze Wahrheit erzählen, in der Hoffnung, dass du mir eines Tages vergibst. Sie musste sich auch bei Tony und vor allem bei Nino entschuldigen, der durch ihr Verschulden noch immer im Krankenhaus lag. Doch sie war sicher, dass nach seiner Entlassung alle drei wie
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