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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Autoren: Niko Paech
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herstellen. Dann könnten sie ihre Versorgungsmöglichkeiten steigern, wenn sich jeweils ein Haushalt auf ein Produkt spezialisiert. Dies würde die Kompetenzen der sich nun auf eine Tätigkeit konzentrierenden Personen erhöhen, somit die Geschicklichkeit steigern, Zeit sparen, Verschnitt und Abfälle reduzieren. Und vor allem bräuchten die jeweils benötigten Werkzeuge oder Maschinen nur einmal angeschafft werden. Die fixen Kosten einer Schusterwerkstatt und Bäckerei verteilten sich nun auf die Gesamtmenge der in dieser Stadt nachgefragten Schuhe bzw. Brote. Dies führt zu geringeren Durchschnittskosten, denn vorher brauchte jeder Haushalt für seinen kleinen Bedarf eigenes Schusterwerkzeug und einen Backofen. Insgesamt steigt der Wohlstand, weil sich Menschen nun mehr leisten können.
    Aber wie geht es weiter, wenn alle derartigen Effizienzpotenziale ausgeschöpft sind, nachdem sich die Haushalte in der Stadt auf eine bestimmte Arbeit spezialisiert haben? Natürlich wäre eine weitere Wohlstandssteigerung auf zweierlei Weise denkbar. Wenn die Bäckerei auch eine benachbarte Stadt beliefern würde, etwa weil dort Getreide teurer ist, könnte sie den Absatz steigern und dadurch auf noch geringere Durchschnittskosten kommen. Im Gegenzug könnte sich die andere Stadt auf Schuhe spezialisieren, vielleicht weil dort der Preis für Leder geringer ist. Eine weitere Kostensenkung könnte erzielt werden, wenn sich der Schuhproduzent weiter spezialisiert, etwa indem er die Schuhsohlen nicht mehr selbst produziert, sondern von einem Betrieb bezieht, der an einem anderen Standort – beispielsweise in China oder Indien – ansässig ist und dies viel kostengünstiger kann. Dies verbilligt die Schuhe und erhöht so die Kaufkraft. Aber welches Wachstum an physischen Anlagen ist erforderlich, um diesen Prozess zu ermöglichen?
    Das vermeintlich effizienzbedingte Güterwachstum resultiert aus nichts anderem als einer Durchdringung und Verdichtung von Raum und Zeit. Was auch immer als Wertschöpfungssphäre im weitesten Sinne geeignet erscheint, wird demnach laufend hinsichtlich noch unerschlossener Spezialisierungsvorteile oder Absatzpotenziale ausgelotet und vermessen. Unabdingbar setzt diese vorwärts gerichtete Suchbewegung eine ständige Erweiterung von Transportwegen, Logistikeinrichtungen, Lagerkapazitäten, Fertigungsanlagen, Energie- und Informationssystemen voraus. Diese Entgrenzung vollzieht sich entlang zweier Dimensionen. (1) Verdichtung des Raumes: Wo fände noch eine Produktionsstätte, ein Gewerbegebiet oder eine Anbindung an globale Infrastrukturen Platz? (2) Verdichtung von Zeitskalen: Wie lassen sich zwecks Absatzsteigerung innerhalb eines menschlichen Lebens zusätzliche Konsumaktivitäten unterbringen, nämlich durch Beschleunigung, (menschliches) Multitasking oder einfach den schnellen Verschleiß von Produkten?
    Die vermeintliche Effizienz der industriellen Arbeitsteilung setzt offenbar physische Entgrenzungsvorgänge voraus. Ständig müssen Produktionsstätten vergrößert, verändert, entsorgt oder verlagert werden. Die Transaktionen zwischen den zerlegten Produktionsstufen dehnen sich in alle Himmelsrichtungen aus. Infrastrukturen und Transporte nehmen zu.
    Seitdem die Verwüstungen dieser Entgrenzung nicht mehr zu vertuschen sind, wird die Vision einer ökonomischen Entgrenzung ohne substanziellen Verschleiß beschworen. Besondere Schubkraft bezog dieser Glaube an ein qualitatives oder materiell entkoppeltes Wachstum aus den vermuteten Möglichkeiten einer digitalisierten Wertschöpfung. Aber inzwischen ruft dieser Versuch, die Physik auszutricksen, nur noch ein mildes Lächeln hervor, denn gerade IT-Innovationen sind zum Schrittmacher materieller Expansion geworden. Sie liefern das perfekte Instrumentarium, um bislang noch unerschlossene (physische) Räume und Zeitskalen einzugemeinden. Selbst dort, wo allem Anschein nach »nur« virtuelle Welten erschaffen werden (z.B. »Second Life«) oder bereits vereinnahmter Raum durch Hinzufügung von Informationsnetzen digital nachverdichtet wird (z.B. Mobilfunk), türmen sich Hardware-Erfordernisse, Energieverbräuche, Elektroschrottgebirge zu sagenhafter Höhe auf und induzieren zusätzliche Mobilität.
    Offenkundig tendiert die ökonomische Theorie dazu, Effizienz mit gesteigerter räumlich-materieller Okkupation zu verwechseln. In nahtlosem Einklang mit dieser Verhüllung werden die gigantischen Infrastrukturen zwecks effektiver Überwindung räumlicher und
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