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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Autoren: Niko Paech
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»Mehrwertes«, der angeblich durch menschliche Arbeit entsteht, als »Ausbeutung« brandmarkt, greift sie viel zu kurz.
    Zu Lebzeiten von Karl Marx mag es noch leicht gefallen sein, zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem zu unterscheiden. Aber mit zunehmender Verbreitung materiellen Reichtums sowie einer stetig gewachsenen Distanz zwischen Verbrauch und Produktion verschwimmen diese Grenzen. Abgesehen davon: Ohne dass sich hinreichend viele Menschen einen steigenden Industrieoutput konsumtiv aneignen, der aus räumlich entgrenzter Arbeitsteilung resultiert, wäre wohl nichts von dem denkbar, was im Zentrum marxistischer Kritik steht. Eingenebelt von exakt derselben Fortschrittsillusion streiten Neoliberale und Marxisten um die gerechte Verteilung eines mutmaßlichen Ertrags menschlicher Leistungen, der in Wahrheit Kapitalverzehr darstellt. Je nach propagierter Gerechtigkeitsvorstellung – mal werden fleißige Arbeitnehmer, mal geniale Unternehmer gepriesen – legitimieren beide Positionen die Inanspruchnahme einer Beute, die aus ökologischer Sicht erstens gar nicht erst hätte entstehen dürfen und die zweitens alles andere als »verdient« oder »erarbeitet« wurde.
    Denn wenn Letzteres zuträfe, müsste gemessen am heutigen materiellen Konsum- und Mobilitätswohlstand die produktive Leistung menschlicher Individuen seit der jüngeren Steinzeit auf geradezu phantastische Weise zugenommen haben. Aber faktisch haben sich die physischen Qualitäten des homo sapiens seither kaum verändert. Noch sind es zwei Arme, zwei Beine und ein Kopf, über die ein Individuum verfügt. Eher mehren sich Anzeichen dafür, dass die produktiven Befähigungen, die von dieser körperlichen Beschaffenheit ausgehen, sogar abgenommen haben könnten. Schließlich hat der Bequemlichkeitsfortschritt im beruflichen sowie privaten Alltag unverkennbare Spuren hinterlassen: Bewegungsmangel, Übergewicht, schwindende körperliche Belastbarkeit und vor allem eine Verkümmerung handwerklichen Geschicks.
    Viele Menschen sehen sich heute nicht mehr in der Lage, Lebensmitteleinkäufe ohne Auto zu tätigen, einen Gehweg zu fegen, Briefe mit der Hand zu schreiben, einfache Reparaturen vorzunehmen oder Gebrauchsgegenstände mit Nachbarn zu teilen – wozu auch? Komfortable Technologien, Dienstleistungen und genügend Geld für die permanente Neuanschaffung von Gütern werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Eigene physische Leistungen durch maschinelle Arbeit oder nonstop abrufbereite Services zu ersetzen bildet einen Kern des zeitgenössischen Fortschrittsverständnisses. Demnach gilt es, sich von allem zu befreien, was zeitraubend, anstrengend, schmerzhaft oder unhygienisch sein könnte.
    Mit der stetigen Verschiebung von Zumutbarkeitsgrenzen wird eine monströse Delegationsmaschinerie in Gang gesetzt. Allerdings lassen sich auch in einer derartigen »Bequemokratie« die physikalischen Gesetze nicht außer Kraft setzen. Mit anderen Worten: Auf irgendwen oder irgendetwas muss die Drecksarbeit schließlich abgewälzt werden. Die zu diesem Zweck erschlossenen Möglichkeiten sind im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos. »Sweat Shops« in Asien, Lateinamerika und absehbar in Afrika sind zu einem Symbol für die globusweite Verlagerung des »schmutzigen« Teils der Herstellungsketten geworden.

Umgeben von Energiesklaven
    Ein elementarer Stützpfeiler des modernen Lebens sind die unzähligen »Energiesklaven«. Durch sie werden vormals körperlich zu verrichtende Arbeiten in maschinelle, elektrifizierte, automatisierte, digitalisierte, dafür aber umso energieabhängigere Vorgänge verwandelt. Zusätzlich werden neue Optionen und erweiterte Aktionsradien der Selbstverwirklichung erschlossen. Akkuschrauber, elektrische Zahnbürsten, Laubsauger, Aufsitzrasenmäher, Brotbackautomaten, Smartphones, E-Commerce, Billigflieger etc. sprechen Bände. Altertümliche Menschen, die noch Briefe mit einem Stift schreiben, statt durch einfache Berührung eines Touchscreens Textbausteine zu montieren, werden wohl absehbar aussterben. Eben jener Touchscreen symbolisiert das universelle und mühelose Bedienelement einer automatisierten Umgebung. Mit digitalem Klick kann ein einzelnes Individuum ohne Verzögerung und Anstrengung maximale Kontrolle über Energieumwandlung und Stoffströme ausüben. Nach dem groß angelegten Unterfangen der Naturbeherrschung, so wie von René Descartes und Francis Bacon vorausgedacht, soll nun ein »Internet der Dinge« nebst anderen
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