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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Autoren: Niko Paech
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Basisinnovationen die letzten räumlichen, zeitlichen oder materiellen Widerstände brechen, welche einer mühelosen Bemächtigung beliebiger Konsum- und Mobilitätsleistungen im Weg stehen könnten.
    Das Leitbild eines von körperlichen Mühen und Anspruchsrücknahmen entlasteten Lebens schreit nicht nur nach technischen Innovationen, sondern auch nach deren stetiger Vervielfältigung bis in die letzten Nischen. So könnte jedes Zimmer mit einem Flachbildschirm, Computer und Internetanschluss versehen werden. Jedes Familienmitglied könnte eine eigene Digitalkamera, einen eigenen Akkuschrauber, eine eigene Latte-Macchiato-Maschine, ein eigenes Auto besitzen. Dadurch ließe sich die schwer zu ertragende Bürde des Wartens, Fragens, Verhandelns, Arrangierens, Bittens, Teilens oder gar eines vorübergehenden Entsagens tilgen.
    Selbst das hedonistische Ideal eines ästhetisch optimierten Körpers ist keine Frage eigener Übung oder Disziplin. An dessen Stelle tritt die Schönheitsoperation, die Kur, die Wellness-Behandlung oder ein aufwendiger Fitness-Maschinenpark. Gibt es überhaupt irgendeine Last, die sich nicht dadurch abwerfen ließe, dass sie an eine eigens dafür zu schaffende Apparatur oder Zuständigkeit delegiert wird? Der Weg vom einzelnen Convenience-Produkt zum vollendeten Convenience-Dasein macht nicht einmal vor Convenience-Verantwortung halt. Denn auch gesellschaftspolitisches Engagement lässt sich komfortabel übertragen. Die Einzugsermächtigung für Greenpeace, der Mausklick bei www. avaaz.org oder www.campact.de als Votum für mehr Klimaschutz machen es möglich – das geht bald sicher auch ganz einfach vom Flugzeug aus.
    Was dabei systematisch verkümmert, sind nicht nur manuelle Kompetenzen, sondern die Kraft zur Genügsamkeit. Anstelle menschlicher Souveränität, die sich aus eigener Leistung und nötigenfalls Beherrschung speisen kann, regieren Abhängigkeit und eine diffuse Angst davor, dass jemand den Stecker ziehen könnte und damit das System abstürzen lässt. Denn jede auch noch so winzige Facette des täglichen Lebens baumelt an energieintensiven Services und Gerätschaften. Niemand aber ist hilfloser als ein Patient, der am Tropf hängt.
    Die Eintrittskarte für dieses moderne Schlaraffenland heißt zunächst Geld. Damit ist das Bindeglied zwischen Zugriffsberechtigung und angeblich erbrachter Gegenleistung hergestellt. Aber dieses Austauschverhältnis ist willkürlich, weil es keineswegs nur von der eigenen Erwerbsarbeit abhängt, sondern auch von Marktdynamiken, leistungsloser Geldvermehrung (Spekulationsgewinne, Zinsen, Erbschaften, Renditen, Lohnerhöhungen etc.). Es bringt ein Verhältnis zwischen eigener Arbeit und Ansprüchen auf Leistungsverbräuche zum Ausdruck, die physisch nicht zu vergleichen sind. Wie lässt sich die Arbeitsleistung eines Topmanagers, der jeden Tag ausschließlich Telefonate führt, Dokumente bearbeitet, an Besprechungen teilnimmt und E-Mails versendet, in Einfamilienhäuser und Urlaubsreisen umrechnen? Wie gerechtfertigt oder »verdient« ist der materielle Gegenwert eines Spekulationsgewinns von 50.000 Euro etwa in Form von Autos, Flachbildschirmen und Restaurantbesuchen? Wie kann ein einzelner Mensch, der pro Jahr fünf Flugreisen in Anspruch nimmt, die hierzu erforderliche Energie nebst anteiliger Nutzung aller erforderlichen materiellen Voraussetzungen selbst »erarbeitet« oder »verdient« haben?
    Je umfassender körperlicher Einsatz durch Energiesklaven ersetzt wird, desto bizarrer ist das Verhältnis zwischen eigener substanzieller Leistung und der explosionsartigen Mehrung substanzieller Ansprüche. Fatal erweise führt ein und dieselbe technologische Entwicklung dazu, dass Menschen sich physischer Verrichtungen entledigen und zugleich über gesteigerte Möglichkeiten verfügen, auf physische Leistungen zuzugreifen. Dieses Missverhältnis verdeutlicht abermals, wie sehr unser Wohlstand auf ökologischer Plünderung beruht, die durch arbeitssparenden technischen Fortschritt immer weiter perfektioniert wird.
    Kein Wunder, dass der Terminus »Produktion« längst dem allgemeineren Begriff der »Wertschöpfung« gewichen ist. Denn ökonomische Werte – in diesem Fall alles, womit sich Geld verdienen lässt – entstehen längst nicht mehr durch menschliche Verrichtungen im physischen Sinne, sondern eher als Resultat symbolischer Handlungen, denen durch Märkte, Institutionen oder Definitionsmacht schlicht ein monetärer Wert zugewiesen wird. Ganz
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