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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Autoren: Niko Paech
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Staaten nicht zu existieren. Schuldenfinanzierte Geschenke auszuschütten kennt prinzipiell keine Obergrenze, insbesondere dann nicht, wenn es gilt, die oben skizzierte Expansionsdynamik durch Subventionen vor Stillstand – einem der Todfeinde des sogenannten Fortschritts – zu bewahren.
    Das Haben-jetzt-zahlen-später-Prinzip verkörpert eine Entgrenzung zeitlicher Art. Um sich nicht mit dem zufriedengeben zu müssen, was kraft eigener Leistungen gegenwärtig erreichbar ist, wird der Vorrat an zukünftigen Möglichkeiten geplündert. Es erfolgt ein Vorgriff auf Leistungen, die noch gar nicht erbracht wurden. Das gegenwärtige Verschuldungssyndrom ist nicht nur ein Gradmesser für Gier und Ungeduld, sondern für organisierte Ver antwort ungslosigkeit – und zwar im buchstäblichen Sinne: Jene, denen eine Antwort auf die Frage nach den Folgen eines gegenwärtigen Lebens über die Verhältnisse zu geben wäre, leben noch nicht. Werden Schulden hinreichend weit in die Zukunft verlagert, schränken sie umso eklatanter Optionen und Freiheitsgrade nachfolgender Generationen ein.
    Wie schützen sich aufgeklärte Zeitgenossen vor Gewissensbissen, die ein moralisches Defizit solchen Ausmaßes heraufbeschwören könnte? Indem sie eine geradezu abenteuerliche Paradoxie instrumentalisieren: Der faktischen Zukunftsvergessenheit momentaner Exzesse wird ein quasi-religiöser Überbau aufgepfropft, nämlich ausgerechnet in Form einer rituellen Zukunftsbeschwörung. Im Zentrum des resultierenden Glaubenssystems stehen die Innovation und das Wachstum – beides im offiziellen Dienste des Wohlergehens zukünftiger Generationen versteht sich. Erstere soll die ökologischen Folgeschäden und Letzteres die spätere Schuldenlast eindämmen. So lässt sich die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen einfühlsam simulieren.
    Auch wenn es gelingt, den Schuldendienst innerhalb eines vorgesehenen Planungshorizonts abzuleisten, anstatt ihn auf die Zukunft abzuwälzen, ist dies nur sinnhaft, wenn wirtschaftliches Wachstum erwartet werden kann. Wer verschuldet sich schon, nur um nach einer vereinbarungsgemäßen Rückzahlung wieder auf das Ausstattungsniveau vor Schuldenaufnahme zurückzufallen oder gar zwischenzeitlich angehäufte Vermögenswerte zu tilgen? Folglich dient Verschuldung – abgesehen von elementaren Notlagen, die aus eigener Kraft nicht zu meistern sind – dem Aufbau eines wie auch immer gearteten Kapitalbestandes, dessen spätere Verwertung einen hinreichenden Überschuss erwarten lässt, sodass über die Schuldentilgung hinaus ein höheres Niveau an materiellen Möglichkeiten erreicht wird. Das gilt nicht minder für die Entwicklung von Humankapital etwa im Falle eines durch Schulden finanzierten Studiums. Auch diese Investition dient nichts anderem als dem späteren Anspruch auf ein höheres Einkommen.
    Natürlich könnte die Verschuldung auch allein einer vorübergehenden Konsumsteigerung dienen, etwa der Finanzierung einer achtwöchigen Kreuzfahrt nach Lateinamerika. Dies setzt entweder voraus, auf hinreichendes Einkommenswachstum vertrauen zu können oder den Schuldendienst durch späteren Konsumverzicht bzw. Vermögensveräußerung zu finanzieren. Aber wie attraktiv und dementsprechend wahrscheinlich wäre die letztgenannte Alternative? Wer kostet gegenwärtige Ausschweifungen in dem Bewusstsein aus, diese später mit entsprechend schmerzhafter Entbehrung wieder ausgleichen zu müssen? Ein derartiges Nullsummenspiel würde der zeitgenössischen Fortschrittslogik eklatant zuwiderlaufen. Schlimmer noch: Es ergäbe sich sogar ein Negativsummenspiel, denn die Rückzahlung ist je nach Verzinsung höher als der Kredit. Ohne Wachstum gehen Verschuldungskalküle also nicht auf.
    Offenkundig tendieren Konsumgesellschaften dazu, das Ausmaß an Verschuldung stetig zu erhöhen. Damit werden zusehends Forderungen an die Gegenwart gestellt, die sich nicht mittels gegenwärtiger Möglichkeiten befriedigen lassen, sondern die Zukunft belasten. Durch diese zeitliche Entgrenzung gegenwärtiger Ansprüche begeben sich moderne Gesellschaften in die Geiselhaft einer unerbittlichen Wachstumsmaschinerie. Schließlich könnte es kein demokratisch zu wählender Politiker je wagen, ein auf Pump erreichtes Wohlstandsniveau zur Disposition zu stellen, indem er auch nur vorsichtig darauf hinweist, dass nach sieben fetten Jahren nun unweigerlich sieben magere Jahre zu folgen hätten. Wer als Unternehmer oder Konsument mit dem reinen
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