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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Ahne schüttelte dann jedes Mal missbilligend den Kopf und begann mit ihrer dünnen Stimme einen Psalm vorzulesen. Johannes mochte die Lene trotzdem gern, er suchte förmlich ihre Nähe, denn sie roch so gut. Sie roch ganz anders als die Ahne oder die Frau Mühlbeck, sie roch ein bisschen nach Veilchen und Sommerwiese. Das kam von dem Parfum, das sie ab und an von den »Kavalieren« geschenkt bekam, und manchmal tupfte sie lachend ein paar Tropfen hinter Johannes’ Ohr und nannte ihn scherzend »mein jüngster Kavalier«.
    Jetzt, als sie in der Tür stand, drang wieder der vertraute und geliebte Veilchengeruch zu ihm herüber. Unwillkürlich war Frau Weckerlin einige Schritte zurückgetreten, hin zu Friedrich, als wollte sie sich zwischen ihn und diese Person stellen, für die jemand wie die stolze Frau Weckerlin sicher keinen Namen hatte. Lene hatte diese Bewegung gesehen und die Röte in ihrem Gesicht, um das sich unordentlich die gelben Locken ringelten, vertiefte sich. Seit sie das Kind erwartete, dessen Vater wohl nur Gott alleine kannte, trug sie immer diese ungesunde Röte im Gesicht und die Ahne hatte wieder und wieder mit Unheil verkündender Stimme gesagt, das bedeute nichts Gutes. Achselzuckend wollte Lene sich umdrehen, aber dann fiel ihr Blick auf die Kleine und ihr verheultes, rotzverschmiertes Gesicht. Unwillkürlich beugte sie sich zu ihr hinunter und streichelte ihr über das Köpfchen, dabei berührte sie mit den weiten Ärmeln des Morgenrocks das Gesicht der Kleinen. An die Ärmel waren künstliche Federn angenäht und diese Federn kitzelten das kleine Mädchen an der Nase, sie musste niesen und Lene begann daraufhin erneut das Näschen zu kitzeln und die Kleine prustete, nieste und verschluckte sich, nieste wieder und fing quietschend an zu lachen. Sie jauchzte und krähte vor Vergnügen, als Lene das Spiel immer weiter trieb, und plötzlich war der kahle, schäbige Raum erfüllt vom Lachen des Kindes, das hoch und höher stieg, bis es das ganze Zimmer ausfüllte und sich um die Menschen legte, die in diesem Zimmer standen und atemlos das Kind betrachteten, das sich ganz diesem unschuldigen Spaß hingab.
    Das Lachen verebbte, als Lene endlich aufhörte, aber es klang immer noch nach und plötzlich hob Frau Weckerlin zaghaft ihren Arm, sie streckte ihn wahrhaftig Lene entgegen, die ihn nach kurzem Zögern ergriff. Beide Frauen zogen sofort ihre Hände wieder zurück, als seien sie über sich selbst erschrocken. Aber es war doch etwas passiert, denn in die kurze Stille hinein sagte Lene plötzlich: »Mein Gott, Johannes, was stehst du hier herum mit deiner Milch wie ein Ölgötze?«
    Das Wort »Milch« hatte die Kleine elektrisiert, sie begann wieder mit ihrem Geschrei. Lene nahm Johannes sanft den Milchtopf aus den Händen und holte zwei Becher, in die sie etwas von der Milch goss. Den größeren reichte sie Johannes und den kleineren reichte sie dem Mädchen, das schnell danach griff und gierig und schmatzend trank.
    »Lassen Sie nur«, wehrte sie Frau Weckerlin ab, die rasch dazutrat und ihrer Tochter den Becher wieder wegnehmen wollte. »Der Johannes kann das sowieso nicht alles auf einmal trinken und Sie können ihm später etwas Milch zurückgeben.« Dann beugte sie sich zu Wilhelm hinüber, der immer noch fast atemlos mit weit aufgerissenen Augen dasaß.
    »Willst du auch etwas?«, fragte Lene, und als Wilhelm schnell nickte, schob sie ihm einen weiteren Becher mit Milch hinüber, den Wilhelm zögernd ergriff und dann in einem einzigen Zug austrank. Mit einem fragenden Blick drehte Lene den Kopf zu Friedrich, aber der starrte verbissen auf die weiß gescheuerte Tischplatte und schüttelte auf ihre stumme Frage schnell den Kopf. Wie ein Stich fuhr Johannes dieses Kopfschütteln ins Herz.
    Aber Frau Weckerlin hatte aufgegeben, hatte ihren Stolz weggeworfen, wie sie jetzt auf dem Stuhl neben ihrer kleinen Tochter saß, die immer noch gierig und schmatzend ihre Milch trank. Johannes konnte es an ihren Händen sehen, die kraftlos im Schoß lagen, und an der Haltung ihres Kopfes, der nach vorne hing, als sei er zu schwer geworden für diesen schmalen Körper im schwarzen Taft.
    Auch Lene schien das zu spüren, denn sie sagte auf einmal mit heiserer Stimme, ohne jemanden besonders anzusprechen: »Es ist schwer hier, vor allem für die Kinder. Aber man kommt durch, irgendwie geht es. Und für die Kinder muss man Hoffnung haben.« Sie starrte für einen Moment auf ihren schweren Bauch, dann lächelte
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