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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers
Autoren: Leonard Cohen
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Schwingen, Kopf oder Zahl einer schwierigen Aufgabe, an Blütenblätter gestellte Fragen, scherenförmige Gewissensentscheidungen, Polaritäten aller Art, Dinge und Bilder von Dingen und Dinge, die keine Schatten werfen, und die tagtäglichen Explosionen draußen auf der Straße, das eine Gesicht oder das andere, ein Haus und ein schmerzender Zahn, Explosionen, die einfach nur anders geschrieben werden – all das wird von meiner Nadel zusammengefügt. Selbst ich und meine gierigen Fantasien und alles, was ist oder jemals gewesen ist, gehört auf einen Faden gereiht und zusammengefügt zur schönsten Halskette aller Zeiten. Jede Bedeutung wird aufgehoben. Füg nichts zusammen!, hat F. gebrüllt. Wenn du unbedingt willst, kannst du die Dinge nebeneinander aufstellen, auf deinem laminierten Tisch zum Beispiel, aber du darfs t sie niemals miteinander verbinden. Komm noch einmal raus, rief F. und zerrte an meinem schlaffen Schwanz wie ein Glöckner an seinem Seil, als wollte er nach dem nächsten Gang läuten, eine Dame an vollbesetzter Tafel. Lass dich nicht zum Narren halten!, brüllte er. Zwanzig Jahre ist das her, wie gesagt. Ich kann eigentlich nur spekulieren, was seinen Anfall damals ausgelöst hat, es muss ein Grinsen gewesen sein, ein Ausdruck universeller Empfänglichkeit, der einemjungen Mann jawirklich nicht gut steht. Es geschah an ebenjenem Nachmittag, dass F. mir seine außerordentlichste Lüge auftischte.
    – Mein Freund, sagte F., du brauchst wirklich keine Schuldgefühle zu haben.
    – Was für Schuldgefühle?
    – Du weißt schon, weil wir uns gegenseitig einen geblasen haben, wegen der Filme und der Vaseline, weil wir es mit dem Hund getrieben haben, weil wir uns während der Arbeit verdrückt haben und es unter den Achseln gemacht haben.
    – Ich hab da keine Schuldgefühle.
    – Doch. Brauchst du aber nicht zu haben. Weißt du, meinte F., das hat mit Homosexualität nämlich nichts zu tun.
    – Was soll denn das, F.? Homosexualität, das ist doch einfach nur ein Wort.
    – Genau deshalb betone ich es so, mein Freund. Es ist eine Frage des Sprachgebrauchs, sonst nichts. Ich will es dir nur erklären, aus Nächstenliebe.
    – Du willst uns den Abend verderben.
    – Hör mir mal zu, du dummes A––––––––!
    – Du hast Schuldgefühle, nicht ich. Und zwar verdammt viele. Du bist doch der Schuldige hier.
    – Ha. Ha. Ha. Ha. Ha.
    – Ich weiß, was du vorhast, F. Du willst den Abend kaputt machen. Es reicht dir nicht, ein paarmal nett zu kommen und was reingeschoben zu kriegen.
    – Na gut, mein Freund, ich gebe es zu. Ich bin zermürbt von Schuld, ich halte jetzt lieber den Mund.
    – Also, jetzt, da du schon davon angefangen hast, kannst du mir auch was erklären.
    – Nein.
    – Doch. Verdammt, F., wir reden doch nur.
    – Ich will nicht.
    – Scheiße, F., du willst uns wirklich den Abend verderben.
    – Wie jämmerlich du bist. Das ist der Grund, warum du nichts zusammenfügen darfst, jede Verbindung, die du herstellst, ist jämmerlich. Bei den Juden war es den jungen Männern verboten, die Kabbala zu lesen, genauso müsste es verboten sein, dass Männer unter siebzig Verbindungen herstellen.
    – Kannst du mir das erklären?
    – Du brauchst keine Schuldgefühle zu haben, denn es geht ja eigentlich nicht um Homosexualität.
    – Das weiß ich ja, aber …
    – Halt mal den Mund. Das ist nicht homosexuell, weil es nicht nur männlich ist. Ich sag dir mal was: Ich hatte eine schwedische Operation, ich war mal ein Mädchen.
    – Jeder hat so seine Schwächen.
    – Halt die Klappe, halt endlich mal die Klappe, selbst die Nächstenliebe hat ihre Grenzen. Also: Ich wurde als Mädchen geboren, bin als Mädchen zur Schule gegangen. Ich habe immer einen blauen Umhang getragen, mit einem gestickten Wappen auf der Brust.
    – F., ich bin nicht irgendein Typ, den du gerade aufgegabelt hast. Ich kenne dich ziemlich gut. Wir haben in derselben Straße gewohnt, sind in dieselbe Klasse gegangen, und nach dem Sport habe ich dich eine Million Mal in der Dusche gesehen. Wir haben Doktor und Patient gespielt, damals im Wald. Was soll das also?
    – Und so verweigern sie den Hungernden das Mahl.
    – Nicht zum Aushalten, du würgst alles ab.
    Als ich feststellte, dass es schon kurz vor acht war und wir beinahe das Kino-Doppel verpasst hätten, beendete ich den Streit. Selten habe ich das Kino so genossen wie an jenem Abend! Warum fühlte ich mich auf einmal so leicht? Woher kam diese tiefe Verbundenheit
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