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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers
Autoren: Leonard Cohen
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sie eines frühen Morgens hinaufgeschaut haben.
    – Die alten Athener, flüsterte ich.
    – Nein, sagte F., die alten Indianer, die Rothäute.
    – Hatten die denn so was? Haben die auch eine Akropolis gebaut?, fragte ich. Es schien mir beinahe, als hätte ich alles vergessen, was ich je gelernt hatte, als wäre mir mit jedem Pinselstrich etwas abhandengekommen. Ich war bereit, alles zu glauben. Sag schon, F., fragte ich, gab es bei den Indianern auch so was?
    – Weiß nicht.
    – Wovon redest du denn dann? Willst du mich verarschen?
    – Leg dich hin, entspann dich mal. Reiß dich zusammen. Bist du denn nicht glücklich?
    – Nein.
    – Warum hast du zugelassen, dass man dir das Glück wegnimmt?
    – Du machst alles kaputt, F. Wir hatten so einen schönen Morgen.
    – Warum hast du zugelassen, dass man es dir wegnimmt?
    – Warum versuchst du eigentlich immer, mich zu demütigen?, fragte ich und begann, mich vor mir selbst zu fürchten wegen des feierlichen Tons. Er stand auf und verhüllte das Modell mit dem Plastikschutz einer Remington-Schreibmaschine, er behandelte es mit einer Vorsicht, als täte ihm selbst die Berührung weh, und ich verstand nun, wie sehr er litt. Ich wusste nur nicht, worunter.
    – Da haben wir uns fast auf das perfekte Gespräch eingelassen, meinte F. und schaltete die Sechs-Uhr-Nachrichten ein. Er drehte das Radio auf volle Lautstärke und schrie gegen die Stimme des Moderators an, der eine Aufzählung von Katastrophen verlas. Fahr weiter, immer weiter hinaus, oh, du großer Staatsdampfer, zu Karambolagen und Geburten, nach Berlin, in den Kampf gegen den Krebs! Hör zu, mein Freund, hör dir die Gegenwart an, das Jetzt, es ist überall, es ist blau-weiß-rot wie eine Dartscheibe. Flieg wie ein Pfeil und bohr dich fest in die Scheibe, du bist ein Zufallstreffer in einer dreckigen Kneipe. Mach dich frei von deinem Gedächtnis und hör das Feuer, das um dich prasselt. Du brauchst es nicht zu vergessen, lass es einfach irgendwo liegen, wo es in den Farben schwelgen kann, ohne die nichts ist. Nur nicht hier! Hiss dein Gedächtnis wie eine Piratenflagge, lass sie wehen auf deinem Staatsdampfer. Und nun zielst du auf die kritzelnde Gegenwart. Schaffst du das? Weißt du, wie du die Akropolis mit den Augen der Indianer betrachten kannst, die selbst gar keine Akropolis kannten? Du musst eine Heilige ficken. So geht das. Schnapp dir eine kleine Heilige, führ sie in eine kuschelige Ecke des Himmels und fick sie richtig durch. Mach dich ran an ihren Plastikaltar, greif ihr in die silberne Schatulle, fick sie, bis sie wie ein Souvenirkästchen pillert, bis du die Andachtslichter umsonst kriegst. Such dir eine kleine Scheinheilige, Teresa oder Catherine Tekakwitha oder Lesbia, such dir eine, die nie einen Schwanz gekannt hat und die Tage damit zubringt, in Schokogedichten zu lümmeln, such dir so eine heimelige, unmögliche Fotze und fick um dein Leben, bis du den ganzen Himmel vollkleckerst. Fick sie auf dem Mond, mit einem Stundenglas aus Stahl in deinem Arsch, verfang dich in ihrer leichten Robe, schlürf ihren Saft, der keiner ist, schleck schleck schleck wie ein Hund im Äther. Erst jetzt kletterst du auf die fette Erde herunter und tappst in deinen Felsenschuhen über den fetten Grund, bis du eine Dartscheibe übergebraten bekommst, die sich selbstständig gemacht hat. Einen Schlag nach dem anderen steckst du ein, dein Geist wird von einer Rechten getroffen, dein Herz von einem Rammstoß, dann kriegst du noch einen Tritt in die Weichteile, und du schreist Hilfe! Hilfe … das ist doch meine Zeit hier, das sind meine Sekunden, meine Späne vom Scheißholz der Ehre, Polizei, Feuerwehr!, seht doch nur, wie viel Glück heute wieder unterwegs ist und wie viel Verbrechen, die Akropolis brennt lichterloh wie Kinderkreide!
    Und immer so weiter. Wenn ich die Hälfte von dem notiert habe, was er gesagt hat, kann ich mich glücklich schätzen. Er hat getobt wie ein Verrückter, mit jedem zweiten Wort flog Spucke. Die Krankheit muss bereits damals an seinem Hirn genagt haben, Jahre später, als er den Tod vor Augen hatte, hat er auch so getobt. Aber was für eine Nacht das war! Wie süß dieser Streit eigentlich war, aus der Ferne betrachtet. Wir waren zwei erwachsene Männer, die auf dem Boden lagen, in einer perfekten Nacht, und ich schwöre, ich erinnere mich genau an seine Wärme, mir ist egal, was er mit Edith angestellt hat, ich gebe ihrem unehelichen Lager meinen Segen, ich öffne mein Herz und gebe
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