Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers
Autoren: Leonard Cohen
Vom Netzwerk:
waren die Einzigen, die den Aufzug nutzten, so drangen wir in die Tiefen des Souterrains, wo außer uns niemand wohnte. Aber einen Denkzettel hat sie niemandem verpasst, zumindest nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Lieferjunge eines Grillrestaurants hat die Drecksarbeit gemacht, weil er die Nummer auf der heißen Papiertüte falsch gelesen hat. Edith! F. ist gekommen und hat bei mir übernachtet. Um vier am Morgen hat er mir gebeichtet, dass er in den zwanzig Jahren, die er sie kannte, ungefähr fünf oder sechs Mal mit ihr geschlafen habe. Nicht zu fassen! Wir riefen denselben Laden an und bestellten Grillhähnchen. Und während die Barbecue-Sauce auf das Linoleum tropfte und wir uns das Fett von den Fingern schleckten, sprachen wir über meine Frau. Fünf, sechs Mal, nur der Freundschaft halber. Ob ich mich nicht zurückhalten könne, um ihre kleine Liebelei vom heiligen Berg der Lebensweisheit aus zu betrachten und leise, zärtlich mit meinem Chinesenkopf zu nicken? Hatte er sich denn an den Gestirnen vergangen? Wie oft denn nun, du mieses Arschloch, fünf Mal oder sechs Mal?, schrie ich. Ah, sagte F., wenn wir trauern, werden wir kleinlich. Also, es sei hiermit verkündet, dass die Irokesen, die Brüder der Catherine Tekakwitha, ihren Namen von den Franzosen erhalten haben. Sie selbst bezeichneten sich als Hodenosaunee, die Langhausmenschen. Ihre Art, miteinander zu reden, hatte eine zusätzliche Dimension. Jeder Satz schloss mit dem Wort hiro , was so viel bedeutet wie: wie gesagt. Damit übernahm jeder Einzelne die Verantwortung dafür, dass er in das wortlose Gemurmel der Sphären eingedrungen war. Auf hiro folgte das Wort koué, das, je nachdem, ob es gesungen oder gejault wurde, Freude oder Leid bedeutete. Auf diese Weise mühten sie sich, den geheimnisvollen Vorhang zu durchstoßen, der zwischen allen Menschen hängt, die miteinander kommunizieren: Sie sagten etwas, und wenn sie fertig waren, traten sie einen Schritt zurück und versuchten mitzuteilen, wie es ihnen dabei ging. Der Laut des wahren Gefühls entlarvte den Intellekt als Täuschung. Bitte sprich mit mir auf Hiro-Koué, Catherine Tekakwitha! Ich habe kein Recht, darüber zu klagen, wie die Jesuiten mit ihren Sklaven umgehen, aber ich kann dich bitten, mir auf Hiro-Koué zu antworten, wenn die kühle Laurentinische Nacht gekommen ist, auf die ich hinarbeite, wenn wir in unserem Kanu aus Birkenrinde liegen, wenn Geist und Fleisch vereint sind nach ewigem, uraltem Brauch, und ich dir noch einmal die bekannte Frage stelle: Sind die Sterne nicht doch winzig klein? Antworte mir, oh Catherine Tekakwitha, antworte mir auf Hiro-Koué! F. und ich, wir haben uns stundenlang gestritten in jener Nacht. Wir merkten nicht einmal, dass es Tag wurde, das einzige Fenster dieser Bruchbude führte in einen Ventilationsschacht.
    – Fünf oder sechs Mal? Du mieses Arschloch, sag mir, wie oft!
    – Ach ja, wer trauert, wird kleinlich.
    – Fünf oder sechs Mal? Fünf oder sechs Mal? Fünf oder sechs Mal?
    – Hörst du, mein Freund? Der Aufzug ist schon wieder in Betrieb.
    – Jetzt pass mal auf, mein Freund, deine mystische Scheiße interessiert mich nicht.
    – Sieben Mal.
    – Sieben Mal mit Edith?
    – Ja, genau.
    – Du hast mich ohne Not belogen, um mich zu beschützen?
    – Ja, genau.
    – Du wolltest mich unbedingt beschützen, ja? Oh F., meinst du, dass es mir jemals gelingen wird, in der ganzen Scheiße die Diamanten zu finden?
    – Sie besteht aus Diamanten.
    – Diese Antwort tröstet mich nicht im Geringsten, du verdammter Ficker verheirateter Frauen. Du ruinierst noch alles mit deiner Scheinheiligkeit. Was für ein beschissener Morgen. In diesem Zustand kann ich meine Frau doch nicht begraben. Sie kommt in irgendein stinkendes Puppenkrankenhaus und wird auf Vordermann gebracht. Und was soll ich denn nun denken, wenn ich mit dem Aufzug fahre? Ich muss doch in die Bibliothek! Ich will deine Diamantenscheiße nicht hören, steck sie dir in deinen okkulten Arsch. Du könntest mir ein bisschen helfen, ja, aber nicht, indem du meine Frau fickst.
    So ging es immer weiter. Wir merkten nicht, dass die Dämmerung heraufzog. Er blieb bei seinen Diamanten. Ich hätte ihm gern geglaubt, Catherine Tekakwitha. Wir redeten, bis wir nicht mehr konnten, und holten uns gegenseitig einen runter, wie wir es schon als Jungen getan hatten, in den Wäldern, die die Stadt längst verschluckt hat.

6.
    F. redete immer sehr leichtfertig über die Indianer, was mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher