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Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Titel: Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Paul Walz
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den Kopf durch die Tür steckte: »Sie haben Bläske gefunden. Er steht auf der Brücke bei Riol und will nur mit dir sprechen.«

    *

    Die Sonne hatte den Nebel verdrängt, der am Morgen das Moseltal bis zum Rand gefüllt hatte, und nur noch einzelne Schwaden zogen dunstig zwischen den Weinbergen dahin. Die Autobahnbrücke überspannte auf fast einem Kilometer ein Nebental der Mosel und war bei Selbstmördern recht beliebt, da niemand den Sturz aus vierundsechzig Metern überleben konnte.
    Als Lichthaus dem Streifenwagen entstieg, hätte die Situation nicht unwirklicher sein können. Die Sonnenstrahlen wärmten ihn zum ersten Mal in diesem Jahr, und Insekten taumelten wintersteif an ihm vorbei. Selbst die Büsche zeigten den leichten Hauch von Grün und in einer geschützten Ecke begann eine Forsythie zu blühen. Die Natur war im Aufbruch, aber nur ein Stück von ihm entfernt war Bläske im Begriff, seinem Leben ein Ende zu setzen.
    Ausgerüstet mit einer Sicherheitsweste und einem Aufnahmegerät machte er sich auf den Weg. Während er auf den Mann zuging, der so ziemlich genau in der Mitte der langgezogenen Brücke jenseits des Geländers auf dem schmalen Betonstreifen am Abgrund stand, versuchte er seine Gefühle für den Mörder zu ordnen. Im Prinzip verabscheute er Menschen, die sich erhöhten und glaubten, das Recht zu richten, sei ihnen gegeben. Andererseits sah er vor seinem geistigen Auge immer wieder wie liebevoll Bläske seine Frau aufgebahrt hatte. Er würde gewiss einer total zerrissenen Persönlichkeit begegnen, die ihre Maske abnehmen, nicht mehr schauspielern würde, und er mahnte sich, seine Meinung erst nach Ende des Gesprächs zu bilden. Zuallererst wollte er ihn allerdings am Sprung hindern und festnehmen.
    Wind kam auf, pfiff um seine Ohren und trug den Lärm der bergan keuchenden Fahrzeuge zu ihm herüber. Seine Seite der Autobahn war gesperrt und der Verkehr musste nun mühsam durch die umliegenden Dörfer umgeleitet werden.
    Sie hatten alles zusammengetragen, was auf die Schnelle über den Mörder dreier Menschen zu finden war, und waren von der Unauffälligkeit des Profils überrascht. Fast sein ganzes Berufsleben war er kaufmännischer Angestellter in einem Unternehmen gewesen, das technische Bauteile herstellte und vor einiger Zeit pleiteging. Seitdem verbrachte er den vorgezogenen Ruhestand gemeinsam mit seiner Frau in ihrem kleinen Häuschen. Keine Anzeigen, keine Prozesse, noch nicht einmal Punkte in Flensburg oder eine kritische Schufa-Auskunft fielen ins Auge. Der deutsche Michel, wie aus dem Bilderbuch. Doch die Krankheit seiner Frau hatte Erschütterungen verursacht, ließ aus seinem Wesen ein Ungeheuer gebären.
    Ute Bläske litt seit gut vier Jahren an einer mysteriösen Immunschwächekrankheit, von der die Ärzte weder sagen konnten, woher sie kam, noch waren sie in der Lage gewesen, den körperlichen Verfall zu stoppen. Lichthaus hatte am Morgen einen Blick in die Akte geworfen und wenig verstanden. Ein blockiertes Molekül namens Interferon-gamma setzte die Abwehr außer Kraft. Anders als bei AIDS produzierte daraufhin der Mensch Antikörper gegen sich selbst, ein Krankheitsbild, das seit Kurzem aus Fernost bekannt war. Die Erkrankten zeigten sich besonders anfällig für opportunistische Mikroben, die lange im Inneren schliefen und erst durch die Immunschwäche ausbrachen. Bei Ute Bläske hatte alles mit NTM begonnen, einer von nicht tuberkulösen Mykobakterien ausgelösten Lungenerkrankung, woraufhin die gestörte Immunabwehr diagnostiziert wurde. Nachdem die Mediziner NTM geheilt hatten, wenn auch mit bleibenden Schäden für ihre Lunge, waren neue Erreger zum Zuge gekommen. Herpes und Pilzinfektionen mit schlimmen schmerzhaften Verläufen, die man auch erfolgreich behandelt hatte, doch schließlich der für immungeschwächte Patientinnen typische invasive Gebärmutterhalskrebs, der sich rasend schnell ausdehnte und tötete. Ein Martyrium.
    Als Bläske seine Schritte hörte, sah er kurz auf und rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
    Er wandte sich wieder ab, Lichthaus jedoch sah den stumpfen in sich gekehrten Ausdruck darin. Ein Mann mit zerzaustem Haar und schlampiger Kleidung, die so ganz dem Eindruck widersprach, den er bislang von ihm hatte. Seine Aufgaben erledigt, sah er in den Abgrund.
    »Sie wollten mich sprechen?« Lichthaus wurde kaum wahrgenommen. Vorsichtig schaltete der das Aufnahmegerät ein.
    »Versprechen Sie mir, dass Sie
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