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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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»dann tasten wir uns zu einer Nische vor, dort finden wir Fackeln und Feuerzeug.«
    »Schöne große Stadt, dieses Konstantinopel, und so voller Überraschungen!« kommentierte Baudolino, während er tastend die Wendeltreppe hinunterstieg. »Schade, daß diese Schweine keinen Stein auf dem anderen lassen werden!«
    »Diese Schweine?« fragte Niketas. »Gehörst du denn nicht zu ihnen?«
    »Ich?« wunderte sich Baudolino. »Keineswegs. Wenn du
    meinst, wegen meiner Kleidung - die habe ich mir bloß
    geliehen. Ich war schon in der Stadt, als diese Kerle eindrangen.
    Aber wo sind denn bloß diese Fackeln?«
    »Geduld, nur noch ein paar Stufen, Sag mir, wer bist du, wie heißt du?«
    »Baudolino aus Alexandria, nicht aus dem in Ägypten,
    sondern aus dem, das heute noch Caesarea heißt, aber wer weiß, vielleicht heißt es heute ja gar nicht mehr, sondern ist verbrannt wie Konstantinopel. Ich meine das Alexandria in Oberitalien, zwischen dem Meer und den Bergen im Norden, unweit von
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    Mediolanum, kennst du das?«
    »Ich habe von Mediolanum gehört. Es wurde einmal vom
    König der Alemannen zerstört. Und später hat unser Basileus den Einwohnern Geld für den Wiederaufbau gegeben.«
    »Richtig, ich war beim König der Alemannen, bevor er starb.
    Du bist ihm einmal begegnet, als er die Propontis überquerte, vor etwa fünfzehn Jahren.«
    »Fridericus Rotbart. Ein großer, hochedler Herrscher,
    mildtätig und barmherzig. Er hätte sich nie so benommen wie diese hier...«
    »Wenn er eine Stadt eroberte, war auch er nicht zimperlich.«
    Endlich waren sie am Fuß der Treppe angelangt. Niketas fand die Fackeln, entzündete sie, und im flackernden Schein der hochgehaltenen Lichter schritten sie durch einen langen Gang, dessen Wände naß glänzten, bis Baudolino auf einmal den Bauch von Konstantinopel erblickte - dort, wo sich, fast direkt unter der größten Kirche der Welt, unbemerkt eine andere Basilika in die Weite und Tiefe erstreckte, ein Wald von Säulen, die sich im Dunkel verloren wie ebenso viele Bäume eines Sumpf- oder Lagunenwaldes, der in flachem Wasser wächst.
    Eine ganz auf den Kopf gestellte Basilika oder Abteikirche, denn auch das Licht, das schwach auf Kapitelle fiel, die undeutlich im Schatten der hohen Gewölbe zu sehen waren, kam nicht aus Rosetten oder Fenstern, sondern aus der spiegelnden Wasserfläche am Boden, die den Fackelschein reflektierte.
    »Die Stadt ist voller Zisternen«, sagte Niketas. »Die Gärten von Konstantinopel sind kein Geschenk der Natur, sondern ein Ergebnis der Kunst. Aber schau, das Wasser steht jetzt nur noch kniehoch, weil das meiste zum Löschen der Brände benutzt worden ist. Wenn die Eroberer auch noch die Aquädukte
    zerstören, werden alle verdursten. Normalerweise kann man hier
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    nicht zu Fuß durch, nur mit einem Boot.«
    »Geht das denn so weiter bis zum Hafen?«
    »Nein, diese Zisterne endet vorher, aber ich kenne Passagen und Treppen, die sie mit anderen Zisternen und Gängen
    verbinden, so daß wir unterirdisch wenn nicht direkt bis zum Neorion, so doch bis zum Prosphorion gehen können.
    Allerdings«, sagte er bekümmert, als ob er sich erst in diesem Augenblick auf eine andere Pflicht besann, »ich kann nicht mitkommen. Ich zeige dir den Weg, aber dann muß ich
    umkehren. Ich muß meine Familie retten, sie ist in einem kleinen Haus hinter der Irenenkirche versteckt. Du mußt wissen«, fügte er wie zur Entschuldigung hinzu, »mein schönes großes Haus ist bei der zweiten Feuersbrunst verbrannt, damals im August...«
    »Kyrios Niketas, du bist wohl nicht recht bei Trost. Erst läßt du mich hier runtersteigen und auf mein Pferd verzichten, obwohl ich ohne dich sehr gut durch die Straßen zum Neorion gelangt wäre, und dann willst du umkehren und mich allein weitergehen lassen. Meinst du, du könntest deine Familie erreichen, bevor dich zwei andere Sergenten anhalten wie die, bei denen ich dich gefunden habe? Und selbst wenn es dir gelingt, was willst du dann tun? Früher oder später wird dich jemand finden, und wenn du meinst, du könntest die Deinen nehmen und in Sicherheit bringen - wohin willst du denn gehen?«
    »Ich habe Freunde in Selymbria«, sagte Niketas zögernd.
    »Ich weiß zwar nicht, wo das ist, aber um dort hinzugelangen, mußt du erstmal aus der Stadt hinaus. Kyrios Niketas, du kannst für deine Familie nichts tun. Aber wo ich dich hinbringe, dort finden wir Freunde aus Genua, die in dieser Stadt das gute und schlechte Wetter machen. Sie
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