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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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bist du nicht der Logothet Niketas, der Minister des Basileus? Was kann ich für dich tun?«
    »Bruder in Christus, wer immer du sein magst«, rief Niketas,
    »befreie mich von diesen Barbaren, die meinen Tod wollen, rette meinen Leib, und du wirst deine Seele retten!« Die beiden lateinischen Pilger hatten von diesem Wortwechsel in
    orientalisch klingenden Tönen nicht viel verstanden, und so fragten sie Baudolino, der einer der ihren zu sein schien, in provenzalischer Sprache. Und in bestem Provenzalisch
    erwiderte Baudolino, daß dieser Mann ein Gefangener des Grafen Balduin von Flandern sei, in dessen Auftrag er gerade nach ihm gesucht habe, wegen gewisser arcana imperii, die zwei elende Sergenten wie sie nie und nimmer verstehen würden. Die beiden waren einen Moment wie vor den Kopf gestoßen, dann beschlossen sie, daß es nur Zeitverlust wäre, eine Diskussion anzufangen, da sie in derselben Zeit mühelos andere Schätze suchen gehen konnten, und verdrückten sich in Richtung
    Hauptaltar.
    Niketas kniete zwar nicht nieder, um die Füße seines Retters zu küssen, auch weil er ja schon auf dem Boden lag, aber er war zu erschüttert, um mit der seinem Rang gebührenden Würde zu reagieren. »Oh, guter Mann«, sagte er, »hab Dank für deine Hilfe! Nicht alle Lateiner sind also losgelassene Bestien mit haßverzerrten Gesichtern! Nicht einmal die Sarazenen haben sich so aufgeführt, als sie Jerusalem zurückeroberten und Saladin sich mit wenigen Münzen begnügte, um die Einwohner zu verschonen! Welch eine Schande für die ganze Christenheit, Brüder bewaffnet gegen Brüder, Kreuzpilger, die das Heilige Grab befreien sollten und statt dessen, von Neid und Habgier erfaßt, das Reich der Romäer zerstören! O Konstantinopel, Konstantinopel, erhabene Stadt! Nährmutter der Kirche,
    Ahnherrin des Glaubens, Weiserin der rechten Lehre, Pflegerin
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    der Wissenschaften, Heimstatt des Schönen, so hast du nun aus der Hand Gottes den Becher des Zornes getrunken und bist verbrannt in einem noch größeren Feuer als jenem, das einst die Pentapolis zerstörte! Welche neiderfüllten, unversöhnlichen Dämonen haben die Unmäßigkeit ihres Rausches über dir
    ausgegossen, welche rasenden, haßerfüllten Freier haben die Hochzeitsfackel in dir entzündet? O Mutter, einst warst du bekleidet mit dem Golde und Purpur des Kaisers, jetzt bist du besudelt und in den Schmutz getreten von deinen Söhnen.
    Gleich in einen Käfig gesperrten Vögeln finden wir weder den Weg, diese Stadt zu verlassen, die doch die unsere war, noch die Gelassenheit, in ihr zu bleiben, sondern irren wie schweifende Sterne in ihr umher!«
    »Kyrios Niketas«, erwiderte Baudolino, »man hat mir gesagt, daß ihr Griechen zuviel und über alles redet, aber ich hatte nicht gedacht, daß ihr so weit geht. Im Moment ist die einzige Frage, wie man hier rauskommt. Ich kann dich im Viertel der Genueser in Sicherheit bringen, aber du mußt nur den schnellsten und sichersten Weg zum Neorionhafen zeigen, denn dieses Kreuz, das ich auf der Brust habe, schützt nur mich, nicht dich. Hier ringsum haben die Leute das Licht des Verstandes verloren.
    Wenn sie mich mit einem griechischen Gefangenen sehen,
    werden sie denken, daß er etwas wert sein muß, und werden ihn mir wegnehmen.«
    »Einen guten Weg wüßte ich schon, aber er folgt nicht den Straßen«, sagte Niketas, »und du müßtest dein Pferd
    zurücklassen.«
    »Dann lassen wir's eben zurück«, sagte Baudolino mit einer Unbekümmertheit, die Niketas erstaunte - er wußte ja noch nicht, wie wenig ihn sein Reittier gekostet hatte.
    So ließ sich Niketas auf die Beine helfen, nahm Baudolino bei der Hand und zog ihn behutsam zur Schwitzenden Säule. Er blickte umher: In der ganzen Weite des Kirchenraumes waren
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    die Pilger, die von weitem gesehen wie wimmelnde Ameisen aussahen, mit Plündern und Raffen beschäftigt und achteten nicht auf die beiden. Er kniete sich hinter der Säule auf den Boden und zwängte die Finger in eine etwas unregelmäßige Fuge zwischen zwei Steinplatten.
    »Hilf mir ein wenig«, sagte er zu Baudolino. »Zu zweit
    werden wir's vielleicht schaffen.« Tatsächlich ließ sich die Platte nach einiger Anstrengung heben und gab den Blick auf eine dunkle Öffnung frei. »Da ist eine Treppe«, sagte Niketas. »Ich gehe voran, ich weiß, wohin man treten muß. Zieh hinter dir die Steinplatte wieder zu.«
    »Was machen wir denn jetzt?« fragte Baudolino.
    »Wir steigen hinunter«, sagte Niketas,
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