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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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Kathedrale ein, wie eine kleine Säule, der dieser Stein auf dem Kopf als Kapitell dient, und dann ist es der arme Alte, der das ganze Gewicht der Belagerung trägt. Ich hab sie mit nach Hause genommen und in meinen Heuschober gestellt, und als ich den anderen davon erzählte, fanden alle, das sei wirklich eine schöne Idee. Dann kam diese Geschichte dazwischen, daß wer ein guter Christ war nach Jerusalem zog, und da bin auch ich mitgegangen, das schien ja damals wer weiß was Tolles zu sein. Na ja, vorbei und erledigt. Jetzt gehe ich wieder nach Hause, und dann werden wir ja sehen, wie sie mich feiern werden, unsere Altersgenossen, soweit sie noch auf dieser Welt sind, und für die Jüngeren werde ich der sein, der mit dem Kaiser nach Jerusalem gezogen ist und abends am Feuer mehr zu erzählen hat als der Meister Vergil, paß auf, womöglich wählen sie mich noch, bevor ich sterbe,
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    zum Konsul... Ich komme also nach Hause, gehe ohne ein Wort zu sagen in den Heuschober, finde die Statue, mache irgendwie ein Loch in das Ding, das sie auf dem Kopf trägt, und tue den Gradal rein. Dann schmiere ich Mörtel drüber, lege Steinsplitter drauf, daß man nicht mal mehr einen Spalt sieht, und bringe sie zur Kathedrale. Wir stellen sie an eine passende Stelle und mauern sie fest, und dann steht sie da per omnia saecula saetulorum, und niemand holt sie mehr runter, auch nicht, um nachzusehen, was dein Vater da auf der Rübe trägt. Wir sind eine junge Stadt und haben nicht allzu viele Grillen im Kopf, aber irgendein Segen vom Himmel kann nie schaden. Ich werde sterben, meine Kinder werden sterben, und der Gradal wird immer dasein, um die Stadt zu beschützen, ohne daß jemand es weiß, es genügt, daß der Herrgott es weiß. Was hältst du davon?«
    »Kyrios Niketas, dies war das richtige Ende für die Schale, auch weil ich, obwohl ich jahrelang vorgab, es vergessen zu haben, als einziger wußte, woher sie kam. Nach dem, was ich gerade getan hatte, wußte ich selber nicht mehr, wozu ich eigentlich auf der Welt war, ich hatte nie etwas wirklich Gutes zustande gebracht. Mit diesem Gradal in der Hand würde ich weitere Dummheiten machen. Er hatte recht, der gute Boidi. Ich wäre gern mitgekommen nach Alexandria, aber was sollte ich dort, umgeben von tausend Erinnerungen an Colandrina und jede Nacht von Hypatia träumend? So dankte ich dem Boidi für seine schöne Idee und wickelte den Gradal wieder in den Lappen, in dem ich ihn hergebracht hatte, aber ohne das Reliquiar. Wenn du auf Reisen bist und triffst womöglich auf Räuber, sagte ich ihm, dann würden sie dir ein scheinbar goldenes Reliquiar gleich wegnehmen, während sie eine
    schlichte Holzschale nicht mal anrühren. Geh mit Gott, Boidi, möge er dir bei deinem Vorhaben helfen. Laß mich hier, ich muß eine Weile allein bleiben. - So ging auch er. Ich schaute mich um, und da fiel mir Zosimos ein. Er war nicht mehr da.
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    Wann er sich davongemacht hatte, weiß ich nicht, er hatte wohl gehört, daß einer den anderen umbringen wollte, und inzwischen hatte ihn das Leben gelehrt, jeden Wirrwarr zu meiden. Tastend hatte er, der jene Gänge ja bestens kannte, sich davongemacht, während wir auf ganz anderes achteten, er hatte es wahrhaft bunt getrieben, aber er war dafür bestraft worden. Soll er weiter in den Straßen betteln, und möge der Herr ihm gnädig sein. Tja, Kyrios Niketas, so bin ich also zurückgegangen durch meine Mumiengalerie, bin über die Leiche des Poeten gestiegen und schließlich nahe am Hippodrom wieder ans Licht des Brandes gekommen. Was mir gleich darauf passiert ist, habe ich dir schon erzählt, und bald danach bin ich dir begegnet.«
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    39. KAPITEL

    BAUDOLINO ALS
    SÄULENHEILIGER
    Niketas schwieg. Auch Baudolino schwieg und hielt die
    Hände offen im Schoß, als wollte er sagen: »Das war's.«
    »Da ist etwas in deiner Geschichte«, sagte Niketas nach einer Weile, »was mich noch nicht überzeugt. Der Poet hatte
    phantasiereiche Anklagen gegen deine Gefährten vorgebracht, als hätte jeder von ihnen Friedrich getötet, und dann hat nichts davon gestimmt. Du hast geglaubt, die Vorgänge in jener Nacht rekonstruiert zu haben, aber wenn du mir alles erzählt hast, dann hat der Poet nie gesagt, daß es tatsächlich so gewesen war.«
    »Er hat mich umzubringen versucht!«
    »Er war von Sinnen, das ist klar. Er wollte den Gradal um jeden Preis haben, und um ihn zu kriegen, hatte er sich in den Kopf gesetzt, daß der, der ihn hatte, schuldig
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