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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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sich vor seinen toten Augen abspielte.
    »Räumen wir erst einmal den Verdacht aus, daß Friedrich wegen der Maschine, die Leere erzeugt, gestorben sein könnte.
    Ich kenne diese Maschine, erstens wirkte sie sich auf ein kleines fensterloses Zimmerchen im Oberstock aus und bestimmt nicht auf das Zimmer des Kaisers, wo es einen Rauchfang gab und wer weiß wie viele andere Schlitze und Spalten, durch die Luft hereinkonnte, soviel wie nur wollte. Und zweitens konnte die Maschine selbst überhaupt nicht funktionieren. Ich habe sie ausprobiert. Der innere Zylinder füllte den äußeren nicht vollkommen aus, auch dort konnte die Luft an tausend Stellen ein- und austreten. Erfahrenere Mechaniker als Ardzrouni haben schon vor Jahrhunderten solche Experimente zu machen
    versucht, ohne Erfolg. Es ist eine Sache, jene sich drehende Kugel zu konstruieren oder jene Tür, die sich durch die Kraft der Wärme öffnet, das sind Spielchen, die wir seit den Zeiten des Ktesibios und des Heron kennen. Aber die Leere, nein, lieber Freund, die absolut nicht. Ardzrouni war eitel, er liebte es, seine Gäste zu verblüffen, das war alles. Kommen wir nun zu den Spiegeln. Daß der große Archimedes mit ihnen die
    römischen Schiffe in Brand gesteckt haben soll, behauptet zwar die Legende, aber wir wissen nicht, ob es stimmt. Ich habe Ardzrounis Spiegel betastet: Sie waren zu klein und zu roh geschliffen. Aber auch wenn sie perfekt gewesen wären - ein Spiegel reflektiert Sonnenstrahlen mit einer gewissen Kraft nur am Mittag, wenn die Sonne hoch steht, nicht am frühen Morgen, wenn die Strahlen noch schwach sind. Nimm hinzu, daß die Strahlen durch ein Fenster mit bunten Scheiben hätten einfallen müssen, und du siehst, daß dein Freund, selbst wenn es ihm gelungen wäre, einen der Spiegel exakt auf das Fenster des Kaisers auszurichten, nichts damit erreicht hätte. Habe ich dich überzeugt?«
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    »Kommen wir zum Rest.«
    »Die Gifte und Gegengifte... Ihr Lateiner seid wirklich naiv.
    Meint ihr, daß auf dem Markt in Kalliupolis Substanzen
    verkauft werden, die eine so große Wirkkraft haben, daß sogar ein Basileus sie nur von Hofalchimisten erhält, und nur wenn er ihr Gewicht in Gold aufwiegt? Alles, was dort verkauft wird, ist falsch, gerade gut genug für die Barbaren, die aus Ikonion kommen oder aus der balkanischen Wildnis. In den beiden Phiolen, die man euch gezeigt hat, war reines Wasser, und ob Friedrich die Flüssigkeit aus der Phiole deines Juden getrunken hätte oder die deines Freundes, den du Poet nennst, wäre dasselbe gewesen. Und dasselbe können wir für jenes
    wundertätige Herzmittel annehmen. Wenn es ein solches
    Herzmittel gäbe, würde es jeder Stratege horten, um seine verwundeten Soldaten wiederzubeleben und erneut in die
    Schlacht zu schicken. Im übrigen hast du mir erzählt, zu welchem Preis ihr diese Wunderdinge gekauft habt: Er war so lächerlich, daß er kaum die Mühe lohnte, das Wasser aus der Quelle zu holen und in die Phiolen zu füllen. Nun zu diesem Dionysios-Ohr. Das in Ardzrounis Burg hat nie richtig
    funktioniert. Spiele dieser Art mögen gelingen, wenn die Distanz zwischen der Öffnung, in die man hineinspricht, und der, aus der man die Stimme hört, sehr gering ist, sie
    funktionieren dann so ähnlich, wie wenn man die Hände
    trichterförmig an den Mund legt, um etwas weiter entfernt gehört zu werden. Aber in der Burg war der Gang, der von einem Stockwerk zum anderen führte, lang und gewunden und mußte durch dicke Mauern... Hat Ardzrouni euch seine
    Vorrichtung etwa ausprobieren lassen?«
    »Nein.«
    »Siehst du? Er zeigte sie seinen Gästen, um sich damit zu brüsten, und das war alles. Selbst wenn der Poet versucht hätte, mit Friedrich zu sprechen, und Friedrich wach geworden wäre,
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    hätte er höchstens ein undeutliches Raunen aus dem Mund der Medusa gehört. Vielleicht hat Ardzrouni die Anlage benutzt, um dort einquartierte Gäste zu erschrecken und sie glauben zu machen, es gäbe Gespenster im Zimmer, aber mehr nicht. Dein Poet kann Friedrich auf diesem Weg keinerlei Nachricht
    geschickt haben.«
    »Aber die leere Schale am Boden, das Feuer im Kamin...«
    »Du hast mir gesagt, daß Friedrich sich an jenem Abend nicht wohl fühlte. Er war den ganzen Tag lang geritten, unter der sengenden Sonne jener Länder, die einem heftig zusetzt, wenn man sie nicht gewohnt ist, er hatte viele Tage voll
    unaufhörlicher Irrfahrten und blutiger Schlachten hinter sich...
    Er war sicher müde,
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