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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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für Fischbeinkorsetts, die eine traumhafte Taille und ungestraften Cannellonigenuss verhießen. In diesem Dilemma hatte die Redaktionsleitung beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und die zögerlichen literarischen Talente des Hauses in die Pflicht zu nehmen, um das Loch zu stopfen und unser treues Familienpublikum mit einem vierspaltigen Opus von humanistischer Tendenz zu ergötzen. Die Liste bewährter Talente, auf die man zurückgreifen konnte, bestand aus zehn Namen, von denen natürlich keiner der meine war.
    »Mein lieber Martín, die Umstände haben sich verschworen, und keiner der Paladine unserer Belegschaft ist persönlich anwesend oder in angemessener Zeit aufzufinden. Angesichts der drohenden Katastrophe habe ich beschlossen, Sie für befähigt genug zu halten.«
    »Sie können auf mich zählen.«
    »Ich zähle auf fünf Blatt in doppeltem Zeilenabstand vor Ablauf von sechs Stunden, Don Edgar Allan Poe. Und bringen Sie mir eine Geschichte, keine Abhandlung. Wenn ich Predigten will, gehe ich zur Christmette. Bringen Sie mir eine Geschichte, die ich nicht schon gelesen habe, und wenn ich sie schon gelesen habe, bringen Sie sie mir so gut geschrieben und erzählt, dass ich es gar nicht erst merke.«
    Ich wollte flugs entschwinden, da stand Don Basilio auf, ging um den Schreibtisch herum und legte mir eine Pranke vom Ausmaß und Gewicht eines Ambosses auf die Schulter. Erst jetzt, von nahem, sah ich, dass seine Augen lächelten.
    »Wenn die Geschichte anständig ist, werde ich Ihnen zehn Peseten zahlen. Und wenn sie mehr als anständig ist und unseren Lesern zusagt, werde ich weitere davon abdrucken.«
    »Sonst noch irgendeine Anweisung, Don Basilio?«, fragte ich.
    »Ja – enttäuschen Sie mich nicht.«
    Die folgenden sechs Stunden verbrachte ich wie in Trance. Ich richtete mich in der Mitte der Redaktion an dem Tisch ein, der Vital an den Tagen vorbehalten war, da es ihm beliebte, hier die Zeit totzuschlagen. Der große Raum war menschenleer und in die Düsternis des Rauchs von zehntausend Zigaretten getaucht. Ich schloss einen Moment die Augen und beschwor ein Bild herauf, eine schwarze Wolkendecke, deren Regen sich auf die Stadt ergoss, einen Mann mit Blut an den Händen und einem Geheimnis im Blick, der sich durch die Schatten tastete. Ich wusste nicht, wer er war, noch wovor er floh, aber in den nächsten sechs Stunden sollte er mein treuster Freund werden. Ich spannte ein Blatt in die Walze und presste ohne Pause alles, was ich zu bieten hatte, hervor. Ich rang mit jedem Wort, jedem Satz, jeder Wendung, jedem Buchstaben und jedem Bild, als wären sie die letzten meines Lebens. Ich schrieb und schrieb Zeile für Zeile um, als ob meine Existenz davon abhinge, und dann schrieb ich alles abermals um. Meine einzige Gesellschaft waren das unablässige, sich in den Schatten des Raumes verlierende Tastengeklapper und die große Wanduhr, die die bis zum Morgengrauen verbleibenden Minuten aufzehrte.
    Kurz vor sechs Uhr riss ich das letzte Blatt aus der Maschine und seufzte erschöpft in dem Gefühl, mein Hirn sei ein Wespennest. Ich hörte die langsamen, schweren Schritte Don Basilios näher kommen, der aus einem seiner kontrollierten Nickerchen erwacht war. Ich gab ihm die Seiten, hielt aber seinem Blick nicht stand. Er setzte sich an den Nebentisch und knipste die Lampe an. Seine Augen glitten auf der ersten Seite hin und her, ohne eine Regung erkennen zu lassen. Dann deponierte er die Zigarette für einen Augenblick auf der Tischkante, sah mich an und las laut die erste Zeile: »Die Nacht bricht über die Stadt herein, und in den Straßen liegt Pulvergeruch wie der Hauch eines Fluches.«
    Don Basilio warf mir einen schiefen Blick zu, und ich verschanzte mich hinter einem Lächeln, das all meine Zähne entblößte. Wortlos stand er auf und zog mit meiner Geschichte von dannen. Ich sah ihn auf sein Büro zugehen und hinter sich die Tür schließen. Wie versteinert blieb ich stehen und wusste nicht, ob ich davonlaufen oder auf das Todesurteil warten sollte. Zehn Minuten später, die mir wie zehn Jahre erschienen, ging die Tür des stellvertretenden Chefredakteurs wieder auf, und seine Donnerstimme schallte durch die Redaktion: »Martín. Kommen Sie bitte.«
    Ich schleppte mich so langsam, wie es nur ging, vorwärts und schrumpfte mit jedem Schritt um mehrere Zentimeter, bis mir nichts anderes mehr übrig blieb, als den Kopf in sein Büro zu stecken und aufzuschauen. Don Basilio, den schrecklichen
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