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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa
Autoren: Die hellen Tage
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eine kurze
heftige Krankheit wäre es bald ausgestanden, bis sie begriff, es war anders mit
uns, sie brauchte nur am Zaun zu stehen, zu rufen und winken, und konnte
sehen, es war anders mit uns.
    Obwohl Évi sie jedes Mal bat
hereinzukommen, blieb meine Mutter am Tor, wo sie über alles nur zu staunen
schien, über die schiefhängenden Schaukeln, die Stühle ohne Lehnen, die Hühner
hinterm Maschendraht und das geflickte Dach, dem man den jüngsten Herbst und
Winter ansehen konnte, am meisten aber über Évi, die sich zwischen alldem mit
ihren leichten, fliegenden Schritten bewegte, mit ihrem bunten Kopftuch, mit
dem sie ihr wirres Haar zurückhielt, mit ihren schmutzigen Händen und kurzen
Kleidern, die sie im Sommer trug und die ihre langen Beine mit den blauen
Flecken nicht verhüllten. Heute glaube ich, meine Mutter störte sich nie daran,
dass ich durch einen Garten tobte, in dem das Holz aus den Bänken brach und der
Rost sich in die Regenfässer fraß, aber es störte sie, dass Évi über all das
hinwegsehen konnte, dass es ihr gleich war, ob das Tor schief in den Angeln
hing, ob ein Fenster undicht war, weil sich ihr Blick auf etwas anderes
richtete, das für meine Mutter unsichtbar bleiben musste. Vielleicht fragte
sie sich auch, wovon Évi lebte, wovon sie die Dinge bezahlte, die sie abends
in einen Topf warf und morgens auf Ajas Brote strich, die wenigen Dinge in
ihren Schränken und auf den schmalen Regalen. Wenn mich Aja nach der Schule zu
Plätzen führte, die ich noch nie gesehen hatte, wenn wir an Zäunen und Mauern
stehen blieben, um die Spuren nachzuzeichnen, die das Moos zwischen die Steine
gesetzt hatte, konnte es sein, dass wir Évi aus einem Haus kommen sahen, in einer
hellen Schürze, die Haare unter einem Tuch versteckt, mit einem Eimer in der
Hand, den sie in eine große Tonne leerte. Manchmal entdeckten wir ihre langen
Beine auf einer Leiter, ihre Arme und Hände, wenn sie mit einem Tuch über
Fensterscheiben wischte, und dann liefen wir zur anderen Straßenseite und
gingen schnell weiter, weil wir aus irgendeinem Grund glaubten, Évi wolle dabei
nicht von uns gesehen werden.
    Dass Évi anders war, hatte ich
schnell begriffen. Es lag nicht nur an dieser einen Strähne, die sich wand und
sträubte und sich nicht fügen wollte, nicht daran, dass sie zum Schlafen Licht
brauchte, in kurzen Kleidern ging und jeder die grünen Adern in ihren
Kniekehlen sehen konnte. Etwas unterschied sie von den Frauen in Kirchblüt,
schon weil sie einem Gespräch kaum folgen konnte, was nicht an der Sprache
lag, die sie von Sommer zu Sommer besser beherrschte, sondern daran, dass sie
mit ihren Gedanken immerzu woanders zu sein schien, auf den Amtsstuben mit
ihren Schreibtischen oder in einem Zirkus auf der anderen Seite eines Ozeans. Évi
war mit Aja anders als andere Mütter mit ihren Kindern, wenn sich Évi unter den
Platanen des großen Platzes fangen ließ und Aja hinter ihr herlief, in nicht
mehr als einem Hemdchen, weil es ihr im Kleid heiß geworden war und Évi sich
nicht darum kümmerte, was man deshalb in Kirchblüt über sie hätte denken
können. Alles schien leicht, ihre Tage waren hell, wenn sie im Schatten der
Bäume Grashalme zupften, wenn sie Hand in Hand an den Geschäften und Auslagen
vorbeigingen und redeten, immerzu redeten, bis Évi sich auf eine Bank setzte
und Aja zusah, wie sie Tauben verscheuchte. Wenn ich abends auf meinem Weg nach
Hause umkehrte, weil ich meine Jacke hatte liegen lassen, konnte ich Évi und
Aja auf ihren krummen Stühlen vor dem Haus sitzen sehen, dicht zusammengerückt
unter dem Küchenfenster, um so auf die Dunkelheit zu warten, Ajas Kopf an Évis
Schulter, ihre Füße auf Évis Schenkeln.
    Évis Tür stand für jeden offen, in
einer der Ecken fand sich immer ein Platz zum Schlafen, und in einer der
Schubladen fanden sich Decken, die sie verteilen konnte. Wenn im Winter ihre
Freunde kamen, schien Évi alles zu vergessen, was hinter der Pforte lag, auch
den schmalen Weg am Bachlauf entlang und die Brücke über den Klatschmohn, die
zum Städtchen führte, als versinke Kirchblüt im selben Augenblick, in dem ihre
Freunde am schiefhängenden Tor auftauchten und es beim Öffnen durch den Staub
schoben. Kirchblüt schien zu verschwinden, wenn sie über die losen Platten aus
Waschbeton zum Fliegengitter gingen, die wenigen Taschen und Tüten ausbreiteten
und ihre Rasiermesser in der Küche auf die Spüle legten. Dann holte Évi Stühle
aus dem Garten und stellte sie an den
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