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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa
Autoren: Die hellen Tage
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uns aufmachen,
bevor Rom im Schlaf überfallen wird, von Tausenden, die über die Plätze
strömen, an den Tempeln vorbeijagen und Münzen in die Brunnen werfen, und Aja
und ich tun jedes Mal, als hätten wir es wirklich vor, als wollten wir noch
einmal mit dem Zug über Bellinzona und durch den Mastenwald von Termini fahren.
Karl hat nie verstanden, dass wir Angst haben, wir haben noch immer Angst
davor. Zu vieles schlummert unter den Steinen und plätschert aus den Brunnen,
zu viele Fratzen springen noch über die sieben Hügel und lachen uns aus. Noch
ist nicht die Zeit dafür, aber irgendwann werden wir Karl dort wiedertreffen,
ich bin sicher, irgendwann werden Aja und ich uns vornehmen, mit dem Nachtzug
über Bellinzona zu fahren, allein schon, um nachzusehen, ob es ihn wirklich
gibt, diesen Ort, den wir nur von einer Lautsprecherstimme kennen - liegt er
wirklich dort, wenn wir den Zug verlassen?
    So wie ich beim Klang des
Akkordeons immer werde an Libelle denken müssen, braucht es nicht viel, um mich
an Rom denken zu lassen, an die Flecken und Farbsplitter unseres Küchenbodens,
ein Licht reicht aus, ein Stein, ein Regen. Wenn ich die vier Buchstaben, ein
R, ein O, ein M, ein A, auf einem Wagen sehe, ROMA, zieht es etwas in mir zusammen,
als habe sich dort unser Leben gewendet, als habe man erst dort drei Federn für
uns in die Luft geblasen und uns in verschiedene Richtungen losgeschickt. Heute
wundere ich mich, dass uns die Strecke nach Rom nie zu lang wurde und wir nie
an die Zeit dachten, die es brauchte, weil sie kein Gewicht für uns hatte und
wir grenzenlos über sie verfügten. Als wir glaubten, unser ganzer Besitz müsse
in einen Koffer passen, in einen kleinen dunklen, so wie Zigi ihn besessen und
dann Aja geschenkt hatte, in den Jahren, in denen wir Rom für die Mitte der
Welt hielten, und nicht mehr Kirchblüt. Wir haben schon lange aufgehört, Rom
für die Mitte der Welt zu halten, wir haben sogar aufgehört, uns selbst für die
Mitte der Welt zu halten, auf unseren Wegen rund um den großen Platz und an
den Feldrainen haben wir damit aufgehört.
    Ellen hat erzählt, im Radio hätten
sie berichtet, Évi dürfe zurück in ihre Heimat und bekomme einen Ausweis. In
Ungarn seien die Verräter von 1956 freigesprochen worden, und Ellen hat
wirklich Verräter gesagt, wie sie früher von vielen genannt worden waren. Wir
haben unter Évis Birnbaum gesessen, der im vierten Jahr keine Früchte mehr
getragen hat, und mit einem Mal war es still geworden, als hätten wir Angst, Évi
könne wirklich aufstehen und gehen, sie könne ihre Sachen packen und sich
aufmachen, und bis Aja anfing zu lachen, hörten wir nichts als Évis Klappern
mit der Teetasse. Aja lachte über die Vorstellung, Évi solle ihren Ausweis, den
man ihr vor langer Zeit in Kirchblüt ausgestellt hatte, weggeben für einen
anderen, den sie nach so vielen Jahren nicht mehr haben wollte, und dann
lachten wir mit, auch Évi lachte mit uns, als habe sie alles richtig
verstanden, als käme auch ihr der Gedanke verrückt vor, Kirchblüt könne nur ein
Zwischenhalt, ein Warteplatz gewesen sein, nach dreißig Jahren in Kirchblüt
könne sie an einen längst verlorenen Ort zurückwollen, nur weil es plötzlich
möglich war.
    Karl hat geschrieben, ein letztes
Mal, bevor er anklopfen und mit Aja und mir wie jedes Jahr über die herbstnackten
Felder laufen wird. Er schreibt, der Vogel, der durch seinen Kopf flatterte,
ist verschwunden. Karl ist in unserer alten Straße gewesen, die zum Tiber
hinunterführt, jetzt, da der Baum unter unserem alten Küchenfenster das dunkelste
Grün getragen hat und bald rot werden wird. Er hat vor der Fassade gestanden
und zu dem kleinen Vorsprung mit der Brüstung hochgeschaut, auf die Aja und er
früher einmal ihre nackten Füße gelegt haben. Die Schwalben sind kreischend aus
den Kronen geflogen und haben den Himmel kurz schwarz gefärbt. Seitdem hält
sein Kopf still. Am Abend kann er zwischen den warmen Steinen der Foren sitzen
und hört den Flügelschlag in seinem Kopf nicht mehr, selbst wenn er lauscht und
darauf wartet. Der Vogel muss in den Schwarm der Schwalben aufgestiegen und
mitgeflogen sein.
    Zigi hat das schiefhängende Tor
gerichtet. Damit es getan ist, wenn der Winter kommen und Kirchblüt zudecken
wird. Es schleift nicht mehr am Boden, es schiebt keine Steinchen mehr durch
den Staub. Aber es ist ein Klang, der mich nie verlassen wird, ich kann ihn
noch immer hören, jedes Mal, wenn ich das Tor öffne, um
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