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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa
Autoren: Die hellen Tage
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ins Wanken zu bringen, seitdem hat
sie auch aufgehört, einen Klappstuhl ans Grab meines Vaters zu stellen, mit
ihm zu reden und das Moos mit dem spitzen Ende ihres Kamms wegzukratzen. Ich
gehe an den Abenden zum Friedhof, wann immer ich Zeit finde, jetzt, da wir ohne
Schatten leben, da wir ihn abgestreift haben und er uns nicht mehr gefolgt ist,
jetzt, da unsere Wunden kaum mehr sichtbar sind und wir sie nur noch spüren,
wenn das Wetter umschlägt. Ein Rest Ferne ist zwischen meiner Mutter und mir
geblieben, so wie auch früher immer ein Rest Ferne zwischen uns geblieben war.
Sie hat meinem Vater verziehen, jedenfalls sagt sie es so, schließlich sehe sie
sein Gesicht in meinem, jedes Mal, wenn ich vor ihr stehe, sehe sie es, und wie
könne sie ihm nicht verzeihen, wenn sie sein Gesicht in meinem sehe. Sie geht
wieder am Neckar spazieren, sie hat sich den Blick aufs Wasser zurückerobert,
auf seine Wellen, die das Licht vor sich hertreiben, es macht ihr nichts mehr,
auch der Gang über die schmalen Wege am Ufer macht ihr nichts mehr. Als es vor
Wochen anfing, am Abend früher dunkel zu werden, waren wir dort, haben Stöcke
gesammelt, in die Wellen geworfen und zugesehen, wie der Fluss sie mitgenommen
hat.
    Meine Mutter hat die Spedition
umbenannt. An meinen Namen hatte sie gedacht, aber ich wollte nicht, dass er in
die Welt getragen würde, und so steht seit zwei Jahren auf den gelben und roten
Planen Maria Bartfink. Bevor meine Mutter ihr Büro für mich räumte, ließ sie
an der Einfahrt Hannes durch Maria ersetzen, ein Abschiedsgeschenk, das sie
sich selbst machte und zu dem Ellen und Évi sie seit langem schon ermutigt
hatten. Sie ließ die Buchstaben abnehmen, die sechs Buchstaben, die den
Vornamen meines Vaters ergeben, und als man sie verlud, schauten wir vom Rauchtisch
am Fenster aus zu. Seitdem schicke ich unsere Lastwagen über die Straßen, so
wie es meine Mutter mehr als dreißig Jahre lang getan hat, und ich werde es so
lange tun, bis ich es überhaben werde, noch habe ich es nicht über. Vielleicht
reicht es noch einmal für dreißig Jahre, es könnte sein.
    Manchmal übersetze ich noch aus
dem Italienischen, aber ich schlage nicht mehr so gern in den Büchern nach,
weil es jedes Mal damit endet, zwischen den Zeilen Erklärungen zu suchen, als
könne ich mich nicht abfinden damit, dass vieles unerklärbar bleibt. Ich habe
angefangen, Viktoriatorte zu backen, und im Sommer, wenn die Baumkronen der
Platanen am großen Platz gerade über uns zusammenwachsen, träumen Aja und ich
davon, uns könne das kleine Cafe gehören. Karls Vater hat einmal für uns entworfen,
wie es aussehen könnte, in der Mitte eine lange Theke mit Kuchen, mindestens
drei davon nach Évis Rezepten. Er hat mehr Zeit fürs Zeichnen, seit er es
aufgegeben hat, seine eigenen Bestellungen auf Évis Leiste zu spießen und die
Kuchen in seinem Eisfach zu stapeln. Er hat ein neues Fahrrad ohne einen
Aufsatz mit Schubfächern, aber seinen Hals streckt er weiter so, als gebe es
diesen Aufsatz noch, als nehme er ihm noch immer die Sicht.
    Eine Weile ist es her, dass Karls
Vater mich hereingewinkt hat, als ich vor dem Haus mit den geschlossenen Läden
stehen geblieben bin, das wir noch immer so nennen, auch wenn die Läden seit
Jahren geöffnet sind. Er hat mir die Bücher meines Vaters gegeben, die er
damals mitgenommen und für mich aufgehoben hat, als meine Mutter sie in unserem
Hof auf Tapeziertischen verkaufte. Sie stehen jetzt auf einem hellen Regal aus
Buchenholz, das er gebaut hat, damit ich sie hüten kann wie einen Schatz, so
jedenfalls hat er es gesagt, als er Kiste und Regal in seinen Kofferraum geladen
und zu mir nach Hause gefahren hat. Er hatte die Bände erwischt, die Ellen
unter S eingeordnet hatte, Schiller ist dabei, Storm und Schnitzler. In jedem
Band steht auf der ersten Seite in der Handschrift meines Vaters sein Name und
das Jahr, in dem er es gekauft oder gelesen haben muss, ich weiß es nicht,
meine Mutter will ich nicht danach fragen.
    Karl muss seinen Bruder nicht mehr
suchen, wenn er durch die Foren wandert, er muss ihn nicht mehr in jeder Meereswelle,
in jedem Sonnenstrahl auf dem Wasser finden. Das Klack-Klack in seinem Kopf ist
leiser geworden. Seit er gesehen hat, wie sich seine Eltern auf dem großen
Platz umarmt haben, wie Ellen vor dem Haus mit den geschlossenen Läden ihre
Hände auf die Arme seines Vater gelegt hat, glaubt er, seine Schuld sei
abgetragen. Jeden Frühling schreibt er, Aja und ich sollten
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