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Banditenliebe

Banditenliebe

Titel: Banditenliebe
Autoren: Massimo Carlotto
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die Kundin hinaus war. »Diese Hure von Negerin!«, so wollte sie beginnen. Keines von beidem stimmte. Die Haut der Frau war dunkel getönt, ihre Augen blau, wie es eben passieren kann, wenn eine Algerierin aus Sétif und ein Bretone aus Saint-Malo beschließen, miteinander Kinder in die Welt zu setzen. Sie maß etwas mehr als eins siebzig, wirkte aber dank der Stiefelabsätze noch größer; ihr Körper war voll und fest, ihre Bewegungen fließend und sinnlich. Die einer Bauchtänzerin: Seit über fünfundzwanzig Jahren trat sie in den Nachtclubs von ganz Europa auf, daher meinte die Frau des Friseurs auch, sie könne sie als käuflich bezeichnen. In der Tat gefiel sie den meisten Männern der Gegend, auch den jüngeren, die liebend gern zu dieser sechsundvierzigjährigen exotischen Fremden ins Bett gestiegen wären.
    Während sie auf den Beleg der Kreditkartenzahlung wartete, schaute sie in den Spiegel, bewegte den Kopf ein klein wenig, um ihr langes schwarzes Haar mit den tizianroten Reflexen schwingen zu lassen. Dann ging sie über die Straße in einen Kaffeeladen, wo sie die übliche Mischung bestellte und davon auch gleich ein Tässchen trank, auf dessen Rand ein perfekter Abdruck ihres Lippenstifts blieb. Sie wechselte einige Worte mit dem Inhaber, einem Stammgast des Lokals, in dem sie arbeitete, der ihr eine Broschüre mit Reklame für Bauchtanz-Kurse zeigte und meinte, sie könne dort doch unterrichten. Sie antwortete nicht. Aus der Vergangenheit stieg das Gesicht ihrer einzigen Lehrerin empor, einer ägyptischen ghaziya , die sie immer wieder daran erinnerte, dass die Bauchtänzerinnen ursprünglich Zigeunerinnen gewesen seien und es auch immer bleiben sollten. Das hatte sie stets beherzigt. Sie war nie lange an einem Ort geblieben, bis sie der Liebe begegnet war, einem großen, stattlichen Mann mit lachenden, von tiefen Falten umgebenen Augen. Einmal hatte sie ihn für ein paar Jahre verlassen, war dann aber zurückgekehrt. Ohne Illusionen, aber fest entschlossen, bei ihm zu bleiben, solange sie nicht erkennen würde, dass es endgültig vorbei war.
    Ein Stück weiter stach ihr in einem Geschäft ein Paar Schuhe in die Augen, und sie nahm sich vor, sie bei nächster Gelegenheit anzuprobieren. Jetzt wollte sie erst einmal nach Hause. An ihrem freien Tag gehörten Abend und Nacht allein ihrem Liebsten.
    Kurz bevor sie ihr Auto erreichte, tastete sie in der Handtasche nach den Schlüsseln mit der Fernbedienung. Hinter ihrem Rücken hörte sie ein Geräusch und sah im Augenwinkel, dass die Seitentür eines Lieferwagens aufglitt. Dann wurde sie von kräftigen Armen gepackt und hineingezerrt. Einen Sekundenbruchteil lang suchte sie noch verzweifelt im Dunkeln den Einzigen, der sie hätte retten können. Doch ihr Liebster war nicht da. Schon fragte sie sich, ob sie ihn je wiedersehen würde.
    Mit brutaler Effizienz wurde sie festgehalten, geknebelt und gefesselt. Sie hatte lange genug in den Nachtclubs mit den übelsten Leuten Umgang gehabt und begriff immerhin, dass sie nicht planten, sie umzubringen. Jedenfalls nicht jetzt.
    Sie spürte einen Stich am Hals, und nach einigen Sekunden wurde die Angst von einer wohltuenden Benommenheit gedämpft.
    Der Fremde holte einen dicken goldenen Ring aus der Tasche und befestigte ihn an ihrem Schlüsselanhänger. Dann stieg er aus, öffnete die Tür ihres Wagens und schob die Schlüssel unter den Fahrersitz. Dieses Detail war für ihn ohne jede Bedeutung. Es war ein Wunsch des Auftraggebers, der für dieses Extra einen Aufschlag gezahlt hatte.
    Er setzte sich hinters Steuer des Lieferwagens und startete den Motor.
    Einige Stunden später, der Ort schlief und die Straßen waren menschenleer, öffnete ein Mann die Tür des eleganten kleinen Wagens. Er kontrollierte das Handschuhfach und suchte zwischen den Sitzen nach einem Indiz, nach irgendetwas, das ihm Aufschluss geben könnte, wo sie war. Er hatte auf sie gewartet, bis es für ihr Ausbleiben keinerlei Erklärung mehr gab, und war dann auf die Suche gegangen. Als er den Ring fand, klopfte sein Herz los. Am liebsten hätte er aufgeschrien. Nach einigen ihm unendlich lang erscheinenden Minuten gelang es ihm, sich zu beruhigen, und er sog den Geruch des Wageninneren ein. Der besondere Duft, den sie von einem kleinen Produzenten in Florenz bezog, war fast verflogen. Ein schlechtes Zeichen. Wer auch immer sie entführt hatte, hatte mehrere Stunden Vorsprung.
    ***
    An jenem Abend war ich in einer Bar im Zentrum von Padua, einer
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