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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman
Autoren: Heyne
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Stunde, die sie braucht, um von sich zu mir zu fahren, reicht locker, um mir einen triftigen Grund einfallen zu lassen. Zufrieden nicke ich meinem Spiegelbild zu und wähle dann Lenes Nummer.
    Es tutet in der Leitung. Und tutet. Und tutet so lange, bis eine mechanische Stimme mir sagt, dass der angerufene Teilnehmer nicht antwortet. »Wenn Sie einen Rückruf wünschen, sprechen Sie jetzt.«
    Ich lege auf. Mist. Mist, Mist, Mist.
    Ich kann doch nicht untätig hier rumsitzen, während Lene sich ins Unglück stürzt! Und vor allem: Was ist mit mir? Was soll denn aus mir werden, bitteschön? Hat sie daran vielleicht mal gedacht, als sie, aus welchen Gründen auch immer, ihre Familienplanung beschlossen hat? Das hätten wir doch besprechen müssen! Und ganz ehrlich: Ich bin noch nicht bereit für eine Familie.
    Ich muss etwas tun. Nur was?
    Das ist es: Ich werde erst mal vor die Haustür gehen. Vielleicht sitzt nämlich Lenes Ego-Wuffi noch draußen – angeleint, frierend, hungrig und zutiefst beleidigt, weil man ihn dort vergessen hat!? Ist sie nach ihrem letzten Besuch bei mir einfach ohne ihn nach Hause gefahren, und er hockt da seit geschlagenen drei Monaten? Das zumindest würde einiges erklären. Mit ihrem Ego im Gepäck hätte der Australientrip doch niemals so ein böses Ende nehmen können!? Ego-Wuffi, ich komme und rette dich! Ich werde dich reinholen und aufpäppeln, dich mit vielen leckeren Würstchen füttern, bis du wieder groß und stark bist, und dann bringen wir dich zu Lene zurück. Sie braucht dich ganz dringend …
    Während ich zum Flurfenster gehe, sprießt tatsächlich ein kleiner, grüner Keim in mir. Eine winzige, wenn auch absurde Hoffnung, die ich für einige Sekunden als Pflaster missbrauchen und über die klaffende Wunde kleben kann. Bitte, lieber Gott, auch wenn es der größte geistige Bullshit ist, den jemals irgendjemand gedacht hat, lass da draußen doch einfach einen halb verhungerten, schlecht gelaunten, zitternden Hund sitzen. Einen Mops vielleicht? Ja, bitte, einen Mops! Die finde ich nämlich voll süß. Bitte, es geht mir so schlecht … Herz und Hirn sind taub, ich trage sie in mir als dumpfe Innereien, nachdem sich das Gefühl, irgendwie betrogen worden zu sein, wie Formaldehyd über sie gelegt hat. Bitte, bitte, nur ein kleiner Mops!
    Kein Mops.
    Nichts annähernd Hundeähnliches.
    War ja klar. Ich lache ein bisschen, weil es natürlich klar war. Ich hab das auch nicht wirklich gehofft. Nein, nein. Ich bin ja nicht irgendwie irre oder so. Haha. Hahaha.
    Scheiße.
    »Scheiß Lene«, lalle ich einem Typen ins Ohr, dessen Gesicht aussieht wie ein laienhaft gemaltes Aquarell auf einer großen Leinwand. Breit, verwischt und irgendwie verzerrt.
    »Willst du noch was trinken?«, fragt er, und ich nicke. Er geht in Richtung Bar. Schätze ich. Genau erkennen kann ich es nicht, denn das große, milchige Bewegtbild auf der Tanzfläche verschluckt ihn nach wenigen Metern. Ich konzentriere mich darauf, nicht vom Barhocker zu fallen und kralle mich am Tisch fest. »Lene« ist mein einziger Gedanke. Sie darf mich nicht verlassen. Was sollte ich denn ohne sie machen? Meine Lene.
    »Die Bar hat schon dicht«, sagt der Typ ohne Gesicht, als er zurückkommt, und zieht mich von meinem Hocker. Kurzfristig verlassen mich meine Sinne, doch auf einen Schlag, es ist die Taxitür, sind sie wieder bei mir. Er sitzt neben mir, seine Hand auf meinem Knie, und gibt dem Fahrer eine Adresse. Es ist nicht meine. Nein, da wohne ich nicht, aber ist ja auch egal.
    »Ist das geil, wie feucht du bist«, stöhnt er mir ins Ohr, nachdem er seine Hand in meine Strumpfhose geschoben hat.
    Ich denke an Lene. »Wir sollten versuchen, das Niveau zu wahren«, lalle ich also, aber eigentlich steht mir das gar nicht zu, zumal ich nicht mal mehr sagen kann, ob ich wirklich genieße, was er da tut, oder ob ich mir im Suff in die Hosen gemacht habe.
    »Halten Sie an!«, rufe ich dem Fahrer zu, öffne kurz darauf die Autotür und beuge mich raus, um mich zu übergeben. Wie in Trance starre ich auf die Pfütze aus säuerlich riechendem Erbrochenen, bis ich wieder zurück ins Auto gezogen werde.
    »Lene …«
    Plötzlich bin ich so müde. Ich will bitte nur mal ganz kurz die Augen zumachen.
    Schwarz …
    Schwarz …
    Schwarz.
    Ich komme wieder zu mir, als er mich aus dem Auto zieht, doch die kalte Nachtluft wirkt wie ein Narkosemittel. Den Sturz merke ich nicht, nur den Schmerz am Steiß, als ich am Boden liege. Ich höre, wie ich
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