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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman
Autoren: Heyne
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wohnt nicht weit weg, in einer besseren Gegend, mit alten Häusern, in denen die Wohnungen hohe Decken haben und viel Geld kosten. Es ist angesagt, so zu wohnen, mit den hohen Decken und überhaupt in diesem Viertel, wo es gemütliche kleine Bars gibt und irgendwie nur Menschen, die aussehen, als würden sie ein besseres Leben führen. Sie gehen joggen, machen Yoga und trinken im Straßencafé Milchkaffee, während sie eine französische Zeitung lesen oder irgendwelche Romane, die mindestens 600 Seiten haben und grundsätzlich nur geschrieben worden sind, um normale Menschen zu verwirren. In meiner Straße gibt es Siebziger-Jahre-Kastenbauten, einen Copy-Shop und einen Kiosk, der die Bild-Zeitung verkauft und Kaffee aus einer gewöhnlichen Kaffeemaschine. Es ist traurig, grau und ziemlich scheintot. Meine Stimmung ist immer noch schlecht und mein Gehirn irgendwie aufgebläht. Es drückt sich von innen gegen meinen Schädel, und es wird nicht mehr lange dauern, bis er birst. Dann fliegt uns hier das letzte bisschen Verstand um die Ohren, und es gilt, die ganzen schönen alten Hausfassaden aufwendig zu restaurieren. Hirnmasse soll ja besonders hartnäckig sein.
    »Du bist früh«, stellt er fest, als er mit nassen Haaren die Tür öffnet. Dabei ist es mittlerweile schon wieder nach acht und damit eigentlich spät. Aber normalerweise komme ich nicht vor zehn oder elf. Er ist 43 und hat einen Namen, einen richtigen, und das, obwohl wir Sex hatten. Sein Name tut nichts zur Sache, aber ich kenne ihn. Wirklich. Ich schätze, es liegt an der Regelmäßigkeit, denn wir treffen uns ungefähr zweimal im Monat, seit ungefähr zwei Jahren.
    »Ziemlich früh sogar«, fügt er hinzu und klingt wie immer schlecht gelaunt. Ich weiß, dass es nichts mit mir zu tun hat. Es ist einfach sein Naturell und außerdem nicht unbegründet, weil seine Freundin, die er mehr oder weniger liebe- und respektvoll »der Sheriff« nennt, gerade erst um die Ecke gebogen ist. Sie wohnen nicht zusammen, obwohl sie schon seit fünf Jahren ein Paar sind. Ihretwegen hat er sich nach einer halben Ewigkeit und drei Kindern von seiner Frau getrennt, aber glücklich ist er damit nicht geworden. Unglücklich allerdings auch nicht, sonst würde er es sicher beenden. Wahrscheinlich ist sie ihm auf sympathische Art und Weise egal. Genau wie ich.
    »Hast du was zu trinken da?«, frage ich und gehe an ihm vorbei durch den Flur in die Küche. Seine nassen, platten Füße klatschen Applaus auf den alten Holzdielen, als er hinterherkommt. »Müsste noch Wodka da sein.«
    Stimmt. Ich hole die angebrochene Flasche aus dem Kühlschrank, drehe den Verschluss ab und nehme einen großen Schluck.
    »Schlechter Tag heute?«
    Ich nicke und trinke nochmal. Er grunzt Verständnis und geht aus der Küche. »Ich warte im Bett.« Ich schaue ihm hinterher und höre kurz darauf, wie das Bett unter der Wucht seines Gewichtes quietscht. »Was ist denn? Kommst du?«
    Ich antworte nicht. Ich will nicht. Nicht antworten und auch nicht in sein Bett. Eigentlich will ich nicht mal Wodka trinken. Ich will einfach nur hier sitzen.
    »Hallo? Wo bleibst du denn?«
    Ich würde ihm so gerne erzählen, was los ist. Dass es mir schlecht geht. Dass Lene weg ist. Dass eins meiner Körperteile seit neuestem drogenabhängig ist. Aber das interessiert ihn nicht. Nichts an mir interessiert ihn, außer der Tatsache, dass ich immer wiederkomme und mich zu Dingen überreden lasse, für die ihm der Sheriff eine knallen würde.
    »Puppe!«
    Die Küche ist wirklich schön. Das fällt mir heute zum ersten Mal auf. Hell und modern, bis auf den freistehenden alten Holzfeuerherd, der sich wie ein unbeugsames, tapferes Relikt aus einer anderen Zeit gegen die kühle Gegenwartsatmosphäre der restlichen Einrichtung wehrt. Zu Hause bei meinen Eltern gibt es auch so einen Ofen. Es ist beschwerlich darauf zu kochen, weil es immer seine Zeit braucht, bis das Feuer die Kochplatten heiß genug gemacht hat, aber dafür schmeckt das Essen irgendwie besser. Ich starre angestrengt auf den Ofen, so lange und intensiv, bis er vor meinen Augen verschwimmt, und dann erkenne ich den Herd, der in der Küche meiner Eltern steht. Ich sitze an unserem großen, runden Esstisch und beobachte meine Mama dabei, wie sie vorsichtig ihre Hand über die Kochplatte hält. »Na endlich«, sagt sie und stellt einen großen Topf darauf. »Wie war es denn heute in der Schule?«, fragt sie, und ich erzähle das Übliche. Die Noten sind gut. Wie immer.
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