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Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Gray
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Schnee. Jetzt lag dieser nur etwa zehn Zentimeter hoch, was besser war als alles, worauf man in New York im Januar hoffen durfte. Schon bald würde der Schnee so heftig fallen, dass er dreißig Zentimeter oder sogar einen halben Meter hoch und höher liegen bleiben würde. Überall um sie herum reckten sich die kahlen Äste der blattlosen Bäume den tiefhängenden Wolken am grauen Himmel entgegen.
    »Jetzt wissen wir also, dass wir den Hang meiden sollten«, sagte sie laut, und ihr Atem gefror in der kalten, spätnachmittäglichen Luft zu kleinen Wölkchen. »Noch ein Ort, um den wir einen Bogen machen müssen. Aber wir werden schon noch eine schöne, lange Strecke im Wald ausfindig machen, auf der niemand je gestorben ist und die wir jeden Tag entlangreiten können. Dann werde ich nicht mehr so etwas Gruseliges mit ansehen müssen.«
    Doch unterdessen hatte Skye das Gefühl, dass es ihr nie mehr gelingen würde, der Nähe von Sterbenden zu entgehen.
    In Evernight hatte es begonnen, und zwar an jenem entsetzlichen, letzten Tag. Die Vampire hatten miteinander gekämpft und eine Art Clanschlacht ausgefochten, die sie nie verstanden hatte, während die Geister, die in der Schule gefangen gehalten worden waren, befreit wurden. Einer von ihnen – Lucas’ tote Freundin Bianca, war jedoch eingeschlossen geblieben. Skyes loyale Freundschaft zu Lucas hatte sie dazu bewogen, ein spontanes Angebot zu machen, nämlich Bianca in sich aufzunehmen und ihr damit zu erlauben, von ihr Besitz zu ergreifen, um ihr so zur Flucht zu verhelfen.
    Skye hatte allerdings nicht damit gerechnet, wie es sich anfühlen würde, den Körper mit einer toten Person zu teilen, und wie entsetzlich furchteinflößend das war, selbst wenn es sich um jemanden handelte, dem man instinktiv vertraute. Und ihr war auf keinen Fall klar gewesen, dass sie nach der Inbesitznahme für alle Ewigkeiten für die Geister der Toten geöffnet bleiben würde.
    Während Eb sie durch den dichten Wald trug, fragte sich Skye, ob außer ihr noch jemand je solche Visionen gehabt hatte. Ob sonst noch irgendjemand wusste, dass im ganzen Tal von Darby, auf den Straßen und in den Gebäuden, ja selbst draußen im Wald die Welt widerhallte von jedem einzelnen Tod.
    Ein Geräusch ganz in ihrer Nähe, als ob etwas zurückschnellte, erschreckte sie, jedoch nur kurz; es war nicht ungewöhnlich, dass man auf Füchse stieß, die durch den Schnee huschten, vielleicht auf der Spur von Wild, denn viel Nahrung blieb ihnen zu dieser Jahreszeit nicht mehr. Skye kam es beinahe gelegen, auf diese Weise aus ihren Gedanken gerissen zu werden – es wäre besser, sich ganz auf den Moment einzulassen, auf die Wärme von Eb, seinen Rhythmus und die Schönheit des Waldes rings um sie herum. Deshalb schaute sie eher mit Erleichterung denn mit Sorge in die Richtung, aus der dieses Geräusch gekommen war … bis sie erkannte, dass das Schnappen nicht von einem Tier, sondern von einem Mann hervorgerufen worden war.
    Dort stand er in seinem braunen Mantel und starrte sie an. Wenn er gelächelt, gewinkt oder Hallo gerufen hätte, dann hätte sich Skye nichts dabei gedacht. Schließlich befand sie sich auf öffentlichem Gelände, und auch wenn sie und Eb zu dieser Zeit des Jahres die Wege häufig für sich hatten, war sie nicht die Einzige, die den Wald im Winter wunderschön fand.
    Aber der Mann tat nichts dergleichen. Er starrte ihr einfach nur mit einem unergründlichen, beinahe hochmütigen Blick entgegen, der ihr verstörend vertraut vorkam.
    »Komm schon, Eb.« Skye trieb ihr Pferd zu einer etwas schnelleren Gangart an, noch immer nur wenig beunruhigt. Dieser Typ, wer auch immer es sein mochte, sah ihr wenig vertrauenerweckend aus, doch als Reiterin würde sie weitaus schneller als er sein.
    Das jedenfalls dachte sie.
    Eb begann zu traben, und alle Muskeln in Skyes Körper spannten sich, um sie sicher im Sattel zu halten. Zweige brachen unter den Hufen des Pferdes, Eis knirschte, aber sie konnte noch mehr als das hören. Hinter ihnen erklangen Schritte.
    Skye warf einen Blick über ihre Schulter zurück und sah den Mann im braunen Mantel, der sie beobachtet hatte und der ihnen nun hinterherkam, ungewöhnlich sicher auf dem rutschigen Boden. Der verstörende Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich nicht verändert, aber der Mann hatte nicht mehr länger die Hände in seinen Taschen. Stattdessen beugte und streckte er die Finger, immer und immer wieder, als ob er sich auf eine besonders anstrengende
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