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Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador

Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador

Titel: Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Wanderung winkend mit seinen Eseln. Oben angekommen, begann er sofort mit seiner Arbeit.
    Baltasar sprach kein Wort, während er mit seiner alten Spitzhacke auf das Geröll einschlug. Er atmete rhythmisch, bewegte seinen gesamten Körper wie ein Amboss und wirkte wie in einem Trancezustand. Der Schweiß rann ihm von der Nasenspitze. Jeder Handschlag sah wie gewollt aus und war seit fünfzig Jahren immer der gleiche. Zweimal in der Woche zwischen seiner normalen Feldarbeit holte er sich das eisige Gold des Berges, um zwei bis drei Dollar pro Block zu verdienen.
    Baltasar trank nicht und er aß nicht. Er gönnte sich keine kurze Pause zum Verschnaufen. Beim Anblick ging uns sein tranceartiger Arbeitsstil nicht mehr aus dem Kopf. Möglicherweise durfte er bei dieser schweren Arbeit nicht denken oder sie unterbrechen. Denn dann würde er vielleicht aufhören und nie wieder damit beginnen, so wie seine Brüder oder die anderen Eisminenarbeiter seines Dorfes.
    Schweigsam und mechanisch schlug er dreißig Kilogramm schwere Eisblöcke heraus. Er bearbeitete das Eis so lange, bis die Oberfläche frei von Gestein wie reinstes Glas schimmerte. Dann nahm der das mitgebrachte kniehohe Gras, welches er auf dem Weg mit einer Sichel geschnitten hatte, und schüttelte es wie ein Netz auf den Untergrund aus. Die feinen Halme legten sich wie ein zartes Netz aneinander. Baltasar hob die schweren Eisblöcke auf den Grasuntergrund, drückte das Gras an die Seiten der Eisblöcke und verpackt sie somit auf magische Weise. Verschnürt wurde alles mit Seilen, die er ebenfalls aus Gras gedreht hatte.
    Warum so?, fragten wir.
    Weil die natürliche Verpackung einfach wie genial war. Und die Natur stellte sie gratis zur Verfügung, lautete seine selbstverständliche Antwort.
    Warum er diese Art der Arbeit machte?, wollte einmal eine französische Touristin wissen.
    Leicht verdientes Geld, hatte Baltasar daraufhin lächelnd geantwortet. Ob sie die Ironie verstanden hatte?
     
    Er arbeitete drei pausenlose Stunden an seinen sechs Eisblöcken. Seine rauen Hände, die ohne Handschuhe arbeiteten, wirkten von der Kälte starr und gekrümmt. Die geschenkten Handschuhe von Rodrigo lagen zuhause. Baltasar wollte sie schonen. Für welchen Zweck bloß?
    Seine Anstrengung in der eisigen Kälte konnten wir nachempfinden, kuschelten uns noch weiter an seine Esel, die ein wenig Wärme verbreiteten und uns vor dem schneidenden Wind und dem Hagel schützten.
    Baltasar belud am Ende seiner Arbeit seine drei treuen Esel mit jeweils zwei Eisblöcken und führte sie wieder in Richtung Tal. Seine Tiere zeigten sich anfangs störrisch. Aber dieser Charakterzug trieb Baltasar ihnen schnell durch mehrere Schläge auf die staubigen Flanken aus. Die leichten, mehrfach hintereinander folgenden Schläge muteten fast komisch an, als würden sie zu einem immer wiederkehrenden Ritual zählen.
    Es war mittlerweile später Nachmittag geworden.
     
    Am Samstagmorgen um sechs Uhr holten wir Baltasar mit unserem Pickup ab. Die Eisblöcke wurden auf die Ladefläche geladen, um sie auf dem Markt zu verkaufen. In seinem Dorf und in allen kleinen Ortschaften rund um das Handelszentrum Riobamba schienen schon seit Stunden alle auf den Beinen zu sein, Gemüsesäcke zu packen und sich auf den Mark vorzubereiten.
    Wir fuhren zu den wenigen Kunden, zu den Eis-, Fruchtsaft- und Fischverkäufern der Stadt. Eine coole Cocktailbar wie es in den Reiseführern stand, zählte nicht dazu.
    Der kleine Baltasar schulterte beim Ausladen sechzig Kilogramm Eis auf seinen kleinen, schmächtigen Körper und verkaufte mit sichtlichem Stolz das Gletschereis, welches dreimal langsamer schmolz als industriell gefertigtes. Er sah wie ausgewechselt aus. Seine Augen strahlten und er schüttelte Hände. Viele waren stolz auf ihren letzten Hielero und kannten wohl doch nicht die familiäre Armut, die hinter dieser Art des Geldverdienens steckte. Vielleicht wirkte er auch glücklich, weil er einige freie Stunden auf dem Markt verbringen konnte. Er schlenderte mit seinem verdienten Geld in der Tasche über den Markt, schaute einem potenziellen neuen Esel ins Maul, traf bekannte Gesichter und hatte schon den Geschmack des billigen Schnapses auf seinen Lippen, den er sich vielleicht danach noch gönnen würde. Um sich zu belohnen, um zu vergessen, um einfach die schmerzenden Knochen nicht mehr zu spüren, oder um einfach der Armut laut ins Gesicht zu lachen.
     

Baños – Wallfahrtsort heiliges Wasser Schwefel
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