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Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador

Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador

Titel: Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Anhaltspunkte in der Landschaft. Außerhalb der Lawinenfelder machten wir uns keine Sorgen mehr. Wir wussten, dass wir irgendwie aus dieser Geschichte herauskommen würden. Zeit hatten wir ja genug, um irgendwann auf eine Menschenseele zu stoßen. Wenn nicht heute, dann vielleicht am nächsten Tag.
    Nach den lebensgefährlichen Erfahrungen auf dem Gletscher empfanden wir die Geröllhänge nur noch als potenzielle Unfallquellen. Kopfgroße Lavasteine lösten sich durch unbedeutende Berührungen und schossen mit Lärm in die Tiefe. Sie rissen wie Dominosteine anderes Geröll mit sich und verursachten dadurch kleine Kettenreaktionen. Durch ihre raue Beschaffenheit hatten sie messerscharfe Kanten, die die Haut beim Sturz aufschnitten. Bei dieser Bodenbeschaffung musste jeder Schritt mit Konzentration geschehen. Die war aber in den letzten Stunden irgendwo zwischen Gipfel und Moräne auf der Strecke geblieben. Es folgten steile Hänge und wieder tiefe Schluchten, eigentlich wunderschöne Formationen, die wir jedoch schlichtweg ignorierten. Spalten und Abgründe taten sich vor uns auf, die nicht zu überwinden waren. Dann entschieden wir uns, den Hang zurück hochzusteigen und eine neue Richtung auszuprobieren. Der Schweizer, Ingo und ich waren mittlerweile ohne Bergführer. Denn die hatten sich allein auf den Weg gemacht, einen Weg zurück zu finden und versuchten über das Mobiltelefon Hilfe zu organisieren. Am späten Nachmittag fanden uns Bekannte des Bergführers. Sie brachten zwei Pferde, die Ingo und mich nach wenigen Metern an einem Steilhang aus den Sätteln warfen. Ingo stieg wieder auf, um die letzten zehn Kilometer erschöpft auf dem Rücken des Pferdes zurückzulegen. Ich verzichtete darauf und ging den Rest auch noch zu Fuß. Auf dem Pferderücken sitzend verschwand Ingo alleine als kleiner Punkt am Horizont. Ich wunderte mich über die falsch eingeschlagene Richtung und schrie noch hinterher, aber er schien mich nicht mehr zuhören.
    Kurz vor Sonnenuntergang erreichte unsere Gruppe die einsame Bergsteigerunterkunft. Niemand war dort, außer Ingos Pferd stand grasend vor der Unterkunft. Die letzte Anspannung fiel nun von mir ab.
    Ingo erzählte uns später, dass sein Gaul den Weg zu einer Herde Wildpferde auf der Hochebene eingeschlagen hatte, anstatt zurück zum Ausgangspunkt zu trotten. Er hatte den Weg selbst nicht gekannt und sich auf das Pferd verlassen. Und ein Wildesel hatte unterwegs auch noch versuchte, Ingos Pferd in die fleischige Flanke zu beißen. Trotz gestrecktem Galopp konnte er sich oben halten, erzählte er stolz. Dass Ingos erster Reitversuch so enden würde, überraschte an diesem Tag keinen mehr.
    »We know exactly where we are – wir wissen genau, wo wir uns befinden«, wurde ab diesem Erlebnis zu unserem Running Gag in Richtung Feuerland.
     

Baltasar – Chimborazo letzter Eisminenarbeiter Hagel Wanderung Höhe Anstrengung Kälte Armut romantisierte Verklärung coole Eisbar Stolz Markttag Schnaps
    B ei Sonnenaufgang fuhren wir auf der alten Kopfstein gepflasterten Panamericana in das Dorf der letzten »Hieleros«, den Eisminenarbeitern, unterhalb des Vulkans Chimborazo. Aus Reiseführern hatten wir vom Beruf des Eisminenarbeiters erfahren und wollten mit unserem Cotopaxi-Bergführer Rodrigo diese Minen im Gletschereis besuchen. »Traffic jam – Verkehrschaos«, lachte Rodrigo und schlängelte sich langsam im Dorf durch die vielen Esel, Kühe, Schafe und Schweine, die täglich aufs Neue auf die Weiden getrieben wurden. Die Eigentümer ließen ihren kostbaren tierischen Besitz nachts nicht unbewacht.
    Wir kamen zur Lehmhütte eines Eisminenarbeiters und erinnerten uns an den Satz des Reiseführers, dass in besonderen Bars in Riobamba coole Cocktails mit fossilem Chimborazo-Eis serviert wurden. Dieser Gedanke wurde beim Anblick der familiären Armut des Eisminenarbeiters sofort verdrängt. Was über den Beruf und die Arbeiter romantisch beschrieben wurde, entpuppte sich als glatte Lüge. Die Familie war arm und von den zahlreichen Hieleros in der Vergangenheit gab es mittlerweile nur noch einen. Und der hieß Baltasar.
     
    Wenig später wanderten wir mehrere Stunden bis zur Eismine auf viertausendachthundert Meter Höhe. Das dortige fossile Eis war nicht Ausläufer eines Gletschers, sondern lag unter dem Geröll des Berges. Es musste wie im Bergbau freigeräumt werden.
    Trotz seines Alters von knapp siebzig Jahren war Baltasar ein Energiebündel und überholte uns während unserer
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