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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall
Autoren: Mary Nichols
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es nur recht und billig sei, wenn er in irgendeiner Form für den unersetzlichen Verlust bezahlte, den sie erlitten hatten. Er war ohnehin mit Geld nicht auszugleichen. Die Mutter sah das allerdings ganz anders. Sie war dankbar. Dankbar!
    Lydias Hass war im Laufe der Jahre nicht geringer geworden, aber sie hatte gelernt, sich zu beherrschen. Sie konnte ein fröhliches Gesicht zur Schau tragen und nach wie vor in ihrem Heimatdorf leben, ohne jederzeit bei Nennung des Namens Blackwater einen Wutausbruch zu bekommen. Ja, sie konnte sogar den Anblick Seiner Lordschaft beim sonntäglichen Kirchgang ertragen. Der Earl war bei den Leuten wohlgelitten, und mancher bemitleidete ihn sogar wegen der Abwesenheit seines Sohnes und der lang andauernden Krankheit seiner Frau, die von jener Tragödie ausgelöst worden sein sollte, wie die Nachbarn erzählten.
    Als wenn sein Verlust schwerer wäre als der ihre! Er konnte immerhin seinem Sohn jederzeit Geld schicken, damit er auch weiterhin in Luxus lebte. Sie aber hatte keinen Vater mehr, und ihr geliebter Bruder war vielleicht auch schon tot, denn die Nachrichten von ihm waren spärlich und wenig günstig. Zehn Jahre lang hatte Lydia ihn nicht mehr gesehen, und sie vermisste ihn nach wie vor sehr, ebenso wie die beiden älteren Schwestern.
    Susan war beim Ableben des Vaters mit dem kürzlich in den Adelsstand erhobenen Sir Godfrey Mallard verlobt gewesen. Beide Väter hatten auch den Ehekontrakt bereits unterschrieben, sodass der junge Mann von der Heirat nicht mehr Abstand nehmen konnte. Doch die Besitztümer der Familie lagen in Lancashire, und da es ein weiter Weg von Essex bis dorthin war, drangen die Gerüchte um ein Duell zwischen den beiden jungen Männern nicht bis dorthin, und Sir Godfrey genehmigte die Eheschließung nach Ablauf des Trauerjahres ohne Widerstand. Allerdings gestattete er seiner Schwiegertochter nur die aus Gründen des Anstandes erforderlichen höchst seltenen Besuche in ihrer alten Heimat.
    Margaret hatte sich ein paar Jahre später mit einem jungen Husarenoffizier verlobt, der gleich im ersten Kriegsjahr gefallen war. Daraufhin hatte sie für immer und ewig der Ehe entsagt und war als Hauslehrerin zu dem Duke of Grafton nach Hertfordshire gegangen. Eine Anstellung bei einem Herzog war in den Augen der Mutter die einzige akzeptable Tätigkeit für eine junge Dame aus gutem Hause. Seit die beiden großen Schwestern aus dem Hause waren, nahm Lydia nun den Platz der Ältesten ein, und da der Rest der Familie mittlerweile verarmt war, bedeutete es für sie, sich für die anderen durch eine reiche Heirat opfern zu müssen. Aber ausgerechnet Sir Arthur …!
    “Er lebt noch nicht lange in unserer Gegend”, fuhr die Mutter fort, “und er kennt die Geschichten aus der Vergangenheit nicht.”
    “Aber irgendjemand wird sie ihm schon erzählen, dessen kannst du sicher sein.”
    “Nun, dann musst du so schnell wie möglich seine Aufmerksamkeit auf dich lenken und ihm die Vorteile einer Verbindung mit dir vor Augen führen, bevor er Zeit findet zuzuhören.”
    “Oh, Mama, das ist doch aber hinterlistig.”
    “Keineswegs, denn er wird dem Geschwätz keine Bedeutung beimessen, wenn er erst einmal erkannt hat, was für eine ausgezeichnete Ehefrau du sein wirst.”
    “Ehefrau und Mutter”, fügte Lydia verdrossen hinzu. “Du vergisst seine Töchter.”
    “Ach, Kind, es tut mir ja auch so leid, aber ich sehe keinen anderen Ausweg. Wenn dein Vater noch lebte oder wenigstens Freddie …” Die Mutter brachte es nicht übers Herz weiterzureden. Die Abwesenheit ihres ältesten Sohnes schien ihr ein noch schwereres Los zu sein als der Verlust des Gatten.
    “Kann ich nicht noch warten? Vielleicht ergibt sich doch etwas anderes.”
    “Wenn du romantische Vorstellungen von Liebe haben solltest, Lydia, dann solltest du ihnen straffe Zügel anlegen. Das Leben ist nicht so – und ganz besonders nicht unser Leben.”
    “Ja, damit magst du wohl recht haben.” Lydia seufzte herzergreifend. Sie konnte der Mutter doch nicht sagen, dass der Zorn, die Verzweiflung, der glühende Hass – all die Gefühle, die sie tief in ihrem Innern vergraben hatte – bei diesen Worten in ihrem Herzen wieder lebendig geworden waren.
    “Wenn du Sir Arthur nicht magst, dann ist da ja noch Robert Dent”, nahm die Mutter den Gesprächsfaden wieder auf. “Er ist nach wie vor unverheiratet und wird einmal das Vermögen seines Vaters erben.”
    “Er ist ein Schürzenjäger und ein Spieler”,
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