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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall
Autoren: Mary Nichols
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auch nicht erkennen konnte, ob sie gegen ihren Willen hier festgehalten wurde. Es machte allerdings nicht diesen Eindruck. In ihrem Gürtel steckte ebenfalls eine Pistole, die man ihr zweifellos weggenommen hätte, wenn man ihr nicht vertraute. Ralph war sich nicht im Klaren, was er von dieser Szene halten sollte. Die beiden wirkten so unbefangen, als warteten sie auf irgendetwas – oder auf irgendjemanden. Ahnte Lydia eigentlich, worauf sie sich eingelassen hatte? Er würde wohl etwas näher herankommen müssen, um die Unterhaltung der beiden verstehen zu können.
    Doch bevor Ralph seine Absicht in die Tat umsetzen konnte, legte sich eine Hand auf seinen Mund und eine Stimme flüsterte ganz nahe an seinem Ohr: “Kein Geräusch machen!” Er erstarrte mitten in der Bewegung, indes das Flüstern fortfuhr: “Ich bin’s, Robert Dent. Ich bin hier, um Unterstützung zu geben. Versteht Ihr mich?” Als Ralph nickte, wurde die Hand weggezogen. “Kommt ein Stück weg von hier, damit wir reden können.”
    Widerstrebend wandte er Lydia den Rücken und folgte Robert Dent hinter ein dichtes Holundergebüsch. Aber selbst hier mussten sie die Unterhaltung noch im Flüsterton führen. “Was tut Ihr denn hier?” wollte Ralph wissen.
    “Nun, ein Vögelchen hat mir zugetragen, dass Ihr in dieser Nacht den Wald nicht mehr lebend verlassen würdet, wenn Ihr ihn betretet …”
    “Ihr meint, es ist ein Hinterhalt?”
    “Ich bin ziemlich sicher.”
    “Aber warum? Wer wünscht meinen Tod? Doch nicht … nein, ich kann nicht glauben, dass sie …”
    Robert Dent lachte leise. “Wenn Ihr Miss Fostyn meint, so ist sie fest entschlossen, Euch zu retten. Sie hat mich zur Hilfe herangezogen, aber der Zufall wollte, dass ich ohnehin bereits damit beschäftigt war.”
    “Ihr?” Ralph riss erstaunt den Mund auf. “Mit dem Schmuggel?”
    “Natürlich nicht, wenngleich Miss Fostyn es glaubt”, erwiderte Robert Dent amüsiert. “Sie ist überzeugt, dass ich Einfluss auf jene habe, die Euch Schaden zufügen wollen. Allerdings ist kaum etwas weiter von der Wahrheit entfernt als diese Annahme. In Wirklichkeit habe ich Wichtigeres zu tun. Aber da das eine mit dem anderen in Verbindung steht, bin ich hierhergekommen, um Euch meine Hilfe anzubieten.”
    “Ich danke Euch. Zuerst jedoch müssen wir Lydia aus ihren Händen befreien.”
    “Sie ist hier? Oh, mein Himmel, ich dachte, sie liegt wohlbehalten daheim im Bett. Nun, dann müssen wir ganz besonders vorsichtig sein. Seid Ihr bewaffnet?”
    “Ja.”
    “Also gut, dann nehmt Ihr diesen Weg und ich den anderen, sodass wir von zwei Seiten kommen können. Es ist Unterstützung auf dem Weg, doch darauf können wir jetzt nicht warten.”
    “Was für Unterstützung?”
    “Aus London. Ich habe eine Nachricht dorthin geschickt.”
    “Dann muss Lydia heraus, bevor sie hier sind. Ich möchte nicht, dass sie mit hineingezogen wird.”
    Die beiden Männer trennten sich und näherten sich im Schutz von Bäumen und Sträuchern den beiden Wartenden vor der Hütte. Lydia stand neben dem breitschultrigen Mann vor der offenen Tür. Ralph war überzeugt, dass sie von der Pistole, die sie so tapfer im Gürtel trug, keinen Gebrauch machen würde, und konzentrierte sich deshalb auf ihren Begleiter. Als Robert Dent auf der anderen Seite angelangt war, ließ er den Schrei eines Käuzchens hören, und im selben Augenblick sprangen die beiden mit erhobenen Pistolen auf die Lichtung.
    “Werft die Waffen weg!”, befahl Robert Dent.
    Der breitschultrige Mann zögerte einen Moment, fingerte dann an seinem Gürtel, als wolle er gehorchen, und unvermittelt krachte ein Schuss. Zum Glück hatte der Kerl nicht genug Zeit gehabt, um genauer zu zielen, sodass die Kugel neben Ralph in einen Baum einschlug, begleitet von den wüsten Flüchen des Schützen.
    Robert Dent nutzte indes diese Gelegenheit, um sich auf den Mann zu stürzen, bevor dieser die Pistole wieder laden konnte, und drückte ihn mit dem Gesicht zu Boden. “Nehmt Ihr den anderen”, rief er Ralph zu, der in der Erwartung, eine verängstigte Lydia vorzufinden, langsam auf den Jüngeren zuging.
    Doch zu seiner größten Überraschung sah er sich plötzlich Freddie gegenüber. Im ersten Augenblick war er so fassungslos, dass er kein Wort über die Lippen brachte. Dann stammelte er: “Fredd…, Freddie. Du bist es? Ich dachte, es ist …” Er stockte. Wusste Freddie überhaupt, dass Lydia in seinen Kleidern nachts durch den Wald streifte? Und war sie
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