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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition)
Autoren: Leanne Shapton
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sich James hin und streckt die Hand ins Wasser, trotz der vielen Warnschilder: »Wasser nicht berühren, da unbehandelt«.
    »Ziemlich heiß«, sagt er.
    Ich sehe mich um, dann tue ich es ihm nach. Er hat recht. Ich wische mir die Hand am Hosenbein ab, und wir steuern den Ausgang an, um im Pump Room Tee zu trinken. Ich wasche mir die Hände, bevor ich mein Sandwich anfasse, James macht sich die Mühe nicht. Als er sich sein Rosinenbrötchen buttert, denke ich an alte römische Keime.
    Am folgenden Tag besuchen wir das Thermalbad hinter den römischen Bädern, eine moderne Anlage gespeist mit dem Wasser der ursprünglichen heißen Quellen. Im Film- und Bildarchiv auf der Website der Therme sind Schwarzweißfotos aus den 1960er- und 70er-Jahren zu sehen, auf denen Männer und Frauen mittleren Alters mit Gummischwimmringen in den alten Becken herumschwimmen. Das Wasser ist trüb, umgeben von altersfleckigem Stein und weißen Fliesen. Ein farbiger Clip zeigt, wie im großen römischen Bad ein Film gedreht wird: Schauspieler in buttergelben Tuniken steigen nach den Anweisungen eines bärtigen Mannes mit Megafon in das grüne dampfende Wasser. Eine andere Sequenz zeigt, wie eine Frau über eine Konstruktion aus Seilen und Flaschenzügen in ein dunkles Becken gelassen wird, wo ein Therapeut wartet, um ihr sanft die Beine zu spreizen und zu schließen. In den Filmen sehen die leicht schimmligen alten Becken schön aus. Später, in den 1970ern, wurden die Erreger der Schwimmbadamöbose gefunden, worauf die Bäder geschlossen werden mussten.
    Wir nehmen Eintrittskarten für zwei Stunden und betreten das Thermalbad. Nach dem Umziehen gehen wir zum Minerva-Pool im unteren Stock. Das Becken, dessen Form an eine Amöbe erinnert, ist groß, leuchtend blau und voll mit Männern und Frauen mittleren Alters. Ich bin überrascht von der Zahl der Erwachsenen, die hier mit blauen Poolnudeln unter den Achseln herumplanschen. Eine Gruppe von Badenden versammelt sich in dem an einem Ende des Beckens eingelassenen Whirlpool, ihre Stimmen übertönen das blubbernde Wasser. James und ich schwimmen gehemmt herum. Das Wasser ist gechlort, es ist laut, und ich frage mich, wie viele Leute ins warme Wasser gepinkelt haben, wobei ich mich darauf verlassen kann, dass das Chlor ihr Malheur bereinigt. Wir schwimmen zum Beckenrand und machen uns auf die Suche nach den Dampfbädern.
    Ein paar Monate später bin ich in der Schweiz. Ich lasse mich zu einer flachen Treppe treiben und stütze die Ellbogen auf die dritte Stufe. Meine Knie schweben über der fünften Stufe. Es ist 23.15 Uhr. Die Spiegelung von zwei kleinen orangefarbenen Laternen schimmert im Wasser vor mir. Ich bin im Schwimmbad der Hotel Therme Vals, eines Hotels mit Thermalbad, das von Peter Zumthor entworfen und 1996 eröffnet wurde.
    Als ich in einem Design-Blog Fotos des Bads entdeckte, beschloss ich, eines Tages hier schwimmen zu müssen. Obwohl ich keine besondere Schwäche für Architektur habe, war ich von den Fotos der Bäder in Vals wie hypnotisiert. Ich habe die Bilder mit einem Lesezeichen versehen und sie mir immer wieder angesehen, die dunklen Granitschichten der Wände, die saubere tektonische Struktur, die schimmernden, schwach erleuchteten Becken. Nach außen ist die Therme von einem Berghang verborgen, das Außenbad ist nur aus der Luft zu sehen. Im Innern haben die Bäder den geheimnisvollen Reiz von Höhlen, nur ohne die comichaften Zäsuren von Stalagmiten und Stalaktiten.
    Ein heller Dampf steigt von der Wasseroberfläche auf. Reden ist verboten. Dieses lautlose Nachtbaden wird Hotelgästen sonntags, mittwochs und donnerstags angeboten. Die dunkle Stille und die Architektur reduzieren uns zu Punkten in einem Gitter, unsere Köpfe über dem Wasser wie die Noten in Zumthors Komposition.
    Gleich nach unserer Ankunft steige ich beglückt ins Wasser. Das Wasser wird im Sommer mit 30 ° C geheizt, und es fällt leicht, ohne zu zucken, hineinzugehen. Ich wate die erste Treppe hinunter und drücke mich ab, dann gleite ich einen hohen schmalen Korridor entlang und durch einen niedrigen Kettenvorhang in einer Glaswand, die den Innen- und den Außenbereich trennt. Da der Himmel bewölkt ist, ist das Wasser grau, und ein leichter Nebel hängt über der Oberfläche. Ich schwimme auf drei periskopartige Messingdüsen zu, aus denen starke Wasserstrahlen schießen, und stelle mich unter einen davon. Ich lasse das Wasser auf meine Schultern einprügeln, dann drehe ich eine Runde um
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