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Babel und Bibel

Babel und Bibel

Titel: Babel und Bibel
Autoren: Karl May
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sie!
    Scheik
(fortfahrend):
    Der Sturm bringt sie geschleppt, um Mitternacht, Wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.
    Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie.
    Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein – – – Phantasie
(einfallend):
    Doch dieses Mal ist es wohl anders – – – anders.
     
    (indem sie weiterspricht, tritt sie aus dem Zelte. Hierbei wird der Ueberwurf, der ihre Gestalt verhüllt, von der Hand der Bibel festgehalten und hinter ihr herabgezogen. Nun sieht man sie als Mārah Dūrimēh, im »Strahlenpanzer von Kristall«, und ihre langen, weißen Zöpfe fallen nach vorn. Die in den letzten Auftritten erschienenen Krieger, natürlich auch die Schmiede, verneigen sich tief, und unwillkürlich senken auch die Ān’allāh und die übrigen Anwesenden ihre Häupter und heben die Hände, um ihr Ehrfurcht zu zollen. Es ist ein
    heiliger, ein tief bedeutsamer Augenblick. Sie spricht weiter, ohne darauf zu achten, daß die bisherige Hülle nicht mehr vorhanden ist)

     
    Da steigt die Menschheitsseele selbst hernieder Und holt sich den, der reif zum Schmerze ist.
     
    (auf ihren Wink treten die Schmiede zu dem Scheik und stellen sich, je zwei, zu beiden Seiten des Thrones auf. Indem sie hierbei ihre Hämmer dröhnend aufstoßen, halten die bisherigen Hammerklänge mit einem schwer betonten Schlage auf, und die Harfen fallen ein)
     
    Scheik der Todeskarawane
(freudig auf sie zueilend):
    Ich ahnte es. Ich wußte es sogar!
    Ich grüße dich, du aller Menschen Seele!
     
    (sinkt vor ihr nieder)
     
    Scheik
(knickt vor Entsetzen auf seinem Thron zusammen):
    So gehts mit mir zu Ende – – – allerdings!
    Phantasie
(legt dem Scheikk der Todeskarawane die Hände auf das Haupt):
    Und ich, ich segne dich, den Sohn des Leides, Der aber mir nur Glück, nur Freude bringt.
    Gib dieses Glück auch Andern – – –
     
    (rundum zeigend)

     
    allen Andern, Und frage nicht, ob sie es würdig sind!
     
    (hebt ihn zu sich empor; die Harfen schweigen)
     
    Scheik
(noch immer entsetzt, zu Babel, auf die Phantasie deutend):
    Sie ist die Menschheitsseele, wirklich, wirklich!
    O Babel, Babel, wie belogst du mich!
    Ein Narr war ich, an deinen »Geist« zu glauben, Der alles Andre war, doch nur nicht Geist!
    Babel
(schwer und gebeugt):
    Ich sage nicht, verzeihe mir, o Scheik,
    Ich selbst, ich selbst kann mir ja nicht verzeihen.
     
    (zu den Andern, indem er die beiden Bücher nimmt und nach dem Feuer geht, um sie hineinzuwerfen)
     
    Ihr wißt, was ich versprach – – –
    Bibel
(laut und gebieterisch):
    Laß mich es tun, Die ich noch mehr als du zu opfern habe!
     
    (sie wirft den Schleier, der ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt umhüllt, von sich und kommt aus dem Zelte auf ihn zugeschritten, um ihm die Bücher aus der Hand zu nehmen. Man sieht sie nun, genau so
    gekleidet und geschmückt wie in den »heilgen Stunden« vergangener Zeit. Dieser Anblick wirkt wie ein Blitz auf Vater und Sohn, aber sehr verschieden. Während der Erstere laut aufschreit, besitzt der Andere mehr als Geist genug, sich einzufügen, obwohl er seine Erregung unmöglich ganz beherrschen kann, als die teuerste Gestalt seiner Jugenderinnerungen so plötzlich verkörpert vor ihm steht. Aber, obgleich er still ist, sieht man ihm doch deutlich an, wie glücklich er sich in diesem Augenblicke fühlt)

     
    Scheik
(vor Bestürzung fast brüllend):
    Allāh – – –! Sie lebt – – –! Sie lebt noch – – –! Bēnt’ullāh – – –!
    Imām
(erschrocken):
    Sie lebt noch, Bēnt’ullāh!
    Kādi
(ebenso):
    Sie lebt noch, Bēnt’ullāh!
    Alle Ān’allāh
(durcheinander):
    Sie lebt noch, Bēnt’ullāh!
     
    (während der Imām und der Kādi sich am liebsten verstecken möchten, eilen die andern Ān’allāh, die sie noch kennen, auch die Aeltesten, herbei, um ihr Gewand zu berühren und den Saum, die Falten desselben zu küssen)
     
    Bibel
(wehrt sie freundlich ab):

    Ihr kennt mich noch? Ihr seid mir noch ergeben?
    Wie rührt mich das! Doch wartet, wartet noch!
     
    (sie hat von Babel die beiden Bücher vom »Menschengeiste« und von der »Menschenseele« bekommen und geht mit ihnen nach dem Feuer.
    Da lassen sich die Harfen wieder hören. Je näher die Bibel dem Herde kommt, desto höher flackern die Flammen und desto lauter tönen die Harfen. Es ist, als ob das Feuer wisse, daß es diese beiden Arbeiten Babels zu verschlingen habe. Als sie dort angekommen ist, spricht sie)
     
    Hinweg ins Feuer mit dem irren
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