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Azraels Auftrag (German Edition)

Azraels Auftrag (German Edition)

Titel: Azraels Auftrag (German Edition)
Autoren: Ralf Oswald
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nein“, empörte ich mich und spürte die stechenden Schmerzen in den Beinen, als das Blut zu zirkulieren anfing, „ich habe gedacht, ich könnte...“
    „Knie’ dich aufrecht hin!“ fiel er mir ins Wort. Mit der geöffneten rechten Hand deutete er nach oben und auf seinem Gesicht zeigte sich erstmals ein leichtes Lächeln.
    „Azrael, meinst du, irgendwelche Sonderrechte zu haben, nur weil du der jüngste Schüler bist?“
    Erneut zuckte ich zusammen und kniete so gerade wie ich konnte. Der Zentralcomputer läutete die Tempelglocke drei Mal, um den Anbruch der dritten Tagesphase einzuleiten.
    „Du dachtest also?“ ergänzte er. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht denken? Du sollst nur deinen Geist beobachten. Achte darauf, was er unternimmt. Wohin er geht. Schau lediglich zu, aber begleite ihn nicht.“
    „Aber Meister Talan, das versuche ich doch“, brachte ich gequält hervor. Meine Beine brannten mittlerweile wie Feuer, doch ich traute mich nicht, aufzustehen.
    „Azrael, Azrael, merkst du es denn nicht?“ schüttelte er den Kopf. „Genau das ist es ja. Du möchtest es zu sehr“, fuhr er fort, hob seine linke Hand und griff nach dem lederumwickelten Stab, der hinter seinem Rücken hervorragte. „Genau das ist dein Problem. Umso mehr du dich anstrengst, dein Ziel zu erreichen, desto weiter wird es sich von dir entfernen. Erst wenn du alle Wünsche aufgegeben hast, kannst du das torlose Tor durchschreiten. Und erst dann kannst du die Einheit erkennen.“
    Mit diesen Worten zog er den Züchtigungsstab aus der Rückentasche und hielt den Griff andächtig mit beiden Händen. Sein Mundwinkel zuckte kurz, und seine Augen nahmen einen verklärten Glanz an.
    „Azrael“, ergänzte er scheinbar warmherzig, „lass mich dir dabei helfen. Sitz’ still!“ Dabei sah er mir in die Augen.
    Ich spürte, wie ich zu zittern begann. Aber ich würde ihm nicht den Gefallen erweisen, zu jammern.
    Fünf Mal sauste der biegsame Stab durch die Luft und klatschte auf meine Oberschenkel.
    “Das wird dir helfen, mit Andacht zu knien”, ergänzte er mit diabolischem Grinsen. “Du wirst dich nun wesentlich besser auf deine Übung konzentrieren können.”
    Dann drehte er sich um und ging mit langsamen Schritten in Richtung des Altarraums davon.
    „Azrael, glaub’ mir, später wirst du mir dankbar sein. Und nun beginnst du von vorne. In einer Stunde bin ich bei dir.“
    Ich sagte kein Wort und starrte stur auf den alten Brunnen, der im Innenhof des Klosters von neuen Nebelschwaden umhüllt wurde. Das einzige Geräusch war das beständige Gurgeln des Wasserstrahls.
    Allerdings bekam ich es nur am Rande mit. Mein Geist zog sich zurück und beobachtete. Den eisigen Wind, der von den schneebedeckten Gipfeln herabwehte, bemerkte ich zwar, schenkte ihm jedoch keine weitere Beachtung. Der Gedanke, der mir immerfort durch den Kopf ging, beobachtete ich aufmerksam, ohne dass er mich mitriss:
    Irgendwann werde ich ihn töten!
    Im nächsten Frühjahr wurde ich Sieben.
    Ich kann mich daran gut erinnern, weil unsere Wissenschaftskaste in dem Jahr eine grauenvolle Entdeckung machte.
     
    Mika
     
    Mika zuckte, als die letzten Ausläufer eines gewaltigen Blitzes den Raum erhellten. Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Atem ging rasselnd. Während sich seine Hand am Tisch festkrallte, versuchte er zu erkennen, wo er sich befand.
    „ Was für ein Alptraum“, dachte er.
    Der Staffelarzt hatte zwar gesagt, dass sich die Symptome bald ändern würden. Im Prinzip hatte er Recht behalten.
    Sie verschlimmerten sich!
    Ein gedämpfter Donner grollte über den Stützpunkt. Mika war am Tisch eingeschlafen und hielt immer noch die Fotos in der Hand.
    Die Kerze spendete viel zu wenig Licht, um irgendwelche Einzelheiten erkennen zu können. Doch das war auch nicht notwendig. Schon hundert Mal zuvor hatte er die Bilder gesehen. Er kannte jede Einzelheit, jedes kleine Detail.
    Mikas Atem beruhigte sich.
    Langsam, beinahe andächtig, griff er nach dem obersten Bild des Stapels, den er in der linken Hand hielt, und steckte es nach hinten.
    Die Eiswürfel in dem Whiskeyglas waren schon lange geschmolzen. Auf unbestimmte Art und Weise stellte das Glas einen Fremdkörper in dem Raum dar. Es handelte sich um ein sehr aufwendig geschliffenes, achteckiges Kristallglas, in dessen Boden von unten der Kopf einer Meduse eingraviert war. Das flackernde Kerzenlicht bewirkte, dass sich goldgelbe Lichtreflexe in den Facetten brachen. Es hatte den
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