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Axis

Axis

Titel: Axis
Autoren: authors_sort
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Ihr blieb nichts anderes übrig, als »okay« zu sagen. Ein Abendessen im Harley’s war sowohl mehr als auch weniger, als sie erwartet hatte. Sie war zum Flugplatz gefahren, weil sie fand, dass ein persönlicher Besuch verbindlicher war als ein Anruf, da seit ihrem letzten Gespräch doch einige Zeit vergangen war. Eine Art wortlose Entschuldigung. Allerdings ließ nichts in seinem Verhalten darauf schließen, dass er sauer war über die Unterbrechung ihrer Beziehung (und es war ja auch gar keine »Beziehung« mehr, vielleicht nicht einmal eine Freundschaft). Sie beschloss, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Auf den eigentlichen Grund, der sie hierhergeführt hatte. Der unerklärte Verlust, durch den ihr Leben vor zwölf Jahren einen Riss erlitten hatte.
     
    Turk hatte sein eigenes Auto am Flugplatz stehen, also verabredeten sie, sich in drei Stunden, etwa bei Sonnenuntergang, im Restaurant zu treffen.
    Falls es der Verkehr erlaubte. Wachsender Wohlstand in Port Magellan bedeutete mehr Autos, und zwar nicht mehr nur die kleinen südasiatischen Nutzfahrzeuge und Motorroller, mit denen bis vor Kurzem jeder gefahren war. Im Hafenviertel herrschte dichter Verkehr, und Lise war lange Zeit zwischen zwei Mehrtonnern eingeklemmt, schließlich kam sie aber doch rechtzeitig zum Restaurant.
    Der Parkplatz vor dem Harley’s war voll, ungewöhnlich für einen Mittwochabend. Das Essen hier war durchaus passabel, aber wofür die Leute eigentlich zahlten, das war die Aussicht: Das Restaurant lag auf einem Hügel mit Blick auf Port Magellan. Die Stadt war aus einsichtigen Gründen an dieser Stelle angelegt worden, am größten natürlichen Hafen entlang der Küste, nicht weit entfernt von dem Bogen, der den Planeten mit der Erde verband. Doch das günstige Flachland war rasch überbaut worden, die Stadt hatte expandiert und zog sich jetzt die terrassenförmigen Hänge hinauf. Etliches war in großer Eile hochgezogen worden, ohne Rücksicht auf irgendwelche baugesetzlichen Vorgaben der Provisorischen Regierung. Das Harley’s, ganz aus Naturholz und Glas errichtet, war da eine Ausnahme.
    Lise wartete etwa eine halbe Stunde an der Bar, bis Turks reichlich betagter Wagen auf den Parkplatz tuckerte. Sie beobachtete durch das Fenster, wie er ausstieg und in der Dämmerung auf den Eingang zuschritt. Er war eindeutig nicht so gut angezogen wie der durchschnittliche Gast im Harley’s, doch das Personal kannte ihn und hieß ihn willkommen: Er traf sich häufig mit Kunden hier, wie Lise wusste. Nachdem er sie begrüßt hatte, wurden sie von einem Kellner zu einer U-förmigen Nische am Fenster geführt. Alle anderen Fenstertische waren besetzt. »Ziemlich begehrter Laden«, sagte sie.
    »Heute Abend, ja«, erwiderte er und fügte, als Lise ihn verständnislos ansah, hinzu: »Der Meteorschauer.«
    Ach ja, richtig – das hatte sie ganz vergessen. Lise war seit weniger als elf Monaten (hiesiger Rechnung) in Port Magellan, sie hatte also den letztjährigen Meteorschauer verpasst. Sie wusste, dass es eine große Sache war, dass sich darum herum eine Art inoffizieller Mardi Gras entwickelt hatte, und sie konnte sich auch – aus der Zeit, die sie in ihrer Kindheit hier verbracht hatte – an den Vorgang selbst erinnern: ein Himmelsspektakel, das wie ein Uhrwerk ablief, ein perfekter Vorwand für eine Party. Doch seinen Höhepunkt erreichte der Schauer erst in der dritten Nacht. Heute war lediglich der Anfang.
    »Und wir sind hier genau richtig, um zu sehen, wie es losgeht«, sagte Turk. »In einigen Stunden, wenn es ganz dunkel ist, schalten sie die Beleuchtung runter und machen die Terrassentüren auf, damit alle einen ungehinderten Ausblick haben.«
    Der Himmel war tiefblau, klar wie Gletscherwasser, keinerlei Anzeichen von Meteoren, und die Stadt unterhalb des Restaurants leuchtete im Sonnenuntergang. Lise konnte die Feuer sehen, die aus den Schornsteinen der Raffinerien flackerten, die Silhouetten der Moscheen und Kirchen, die blinkenden Reklametafeln entlang der Rue Madagascar, die indische Filme, Kräuterzahnpasten (auf Farsi) und Kettenhotels anpriesen. Die Kreuzfahrtschiffe im Hafen schalteten eines nach dem anderen die Nachtbeleuchtung ein. Es war, wenn man die Augen zusammenkniff und positiv dachte, recht hübsch. Exotisch, hätte Lise früher gesagt, doch so kam es ihr jetzt nicht mehr vor.
    Sie fragte Turk, wie die Geschäfte liefen.
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich zahle die Miete. Ich fliege. Ich lerne jede Menge Leute kennen.
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