Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Axis

Axis

Titel: Axis
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Ministerium für Genomische Sicherheit.
    »Ich kann nicht mehr tun, als nachzufragen«, sagte sie.
    »Wäre ich dir dankbar für. Also, das Geschäftliche erledigt? Jedenfalls fürs Erste?«
    »Fürs Erste.«
    »Was hältst du dann davon, wenn wir unseren Kaffee mit raus auf die Terrasse nehmen, solange wir dort noch ein freies Plätzchen finden?«
     
    Vor drei Monaten hatte sie Turk engagiert, um sich über die Mohindar Range zu einem Pipeline-Außenposten namens Kubelick’s Grave fliegen zu lassen. Eine rein geschäftliche Angelegenheit. Sie wollte einen alten Kollegen ihres Vaters aufspüren, einen Mann namens Dvali, doch sie kam erst gar nicht in Kubelick’s Grave an: Eine Sturmbö zwang das Flugzeug zur Landung auf einem der Hochgebirgspässe. Turk setzte die Maschine auf einem namenlosen See auf, während nördlich und südlich von ihnen weiße Wolken wie Kanonenrauchschwaden zwischen den granitenen Gipfeln aufstiegen. Er machte das Flugzeug an dem steinigen Strand fest und schlug ein erstaunlich komfortables Lager unter einer Gruppe von Bäumen auf, die für Lise wie knollige Fichtenmutanten aussahen. Drei Tage lang pfiff der Wind über den Pass, und die Sicht war praktisch null. Hätte man einen Fuß vor das Segeltuchzelt gesetzt, wäre man schon nach wenigen Metern verlorengegangen. Aber Turk war ein passabler Outdoor-Überlebenskünstler, er war für Notfälle gerüstet, und ein Essen aus der Dose konnte köstlich sein, wenn man gegen die Unbilden der Natur geschützt war und einen Campingkocher sowie eine Sturmlaterne zur Verfügung hatte. Unter anderen Umständen hätte sich die Angelegenheit zu einer dreitägigen Belastungsprobe entwickeln können, doch Turk erwies sich als angenehme Gesellschaft. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihn zu verführen, und glaubte, dass auch er es nicht auf sie abgesehen hatte. Die gegenseitige Anziehung kam ganz plötzlich – und war leicht zu erklären.
    Sie hatten sich Geschichten erzählt und aneinander gewärmt, als der Wind kälter wurde. In diesen Momenten wäre Lise damit zufrieden gewesen, sich Turk Findley wie eine Decke umzuwickeln und den Rest der Welt für immer auszusperren. Und hätte man sie gefragt, ob sie sich hier auf etwas Ernsthafteres einließ als ein unerwartetes Abenteuer, hätte sie möglicherweise gesagt: Ja, vielleicht.
    Sie wollte die Beziehung aufrechterhalten, als sie nach Port Magellan zurückkehrten. Doch die Hafenstadt hatte eine Art, die besten Absichten zunichte zu machen. Probleme, die im Innern eines Zelts auf einem Gebirgspass ausgesprochen leichtgewichtig schienen, erlangten hier ihre Masse und Trägheit zurück. Die Trennung von Brian war zu diesem Zeitpunkt bereits eine vollendete Tatsache, jedenfalls aus ihrer Sicht, während Brian immer mal wieder Vorstöße unternahm, es »doch noch einmal zu versuchen«, gut gemeint, wie sie annahm, aber demütigend für sie beide.
    Sie erzählte ihm von Turk, und wenn damit auch Brians Versöhnungsversuchen ein Riegel vorgeschoben war, so machte sich gleichzeitig ein ganz neuartiges Schuldgefühl bemerkbar: Sie verdächtigte sich, Turk nur als Mittel zu benutzen, als eine Art emotionale Brechstange gegen Brians Bemühungen, ein erloschenes Feuer wieder anzufachen. Also hatte sie die Beziehung nach ein paar angespannten Treffen auslaufen lassen – besser, eine ohnehin schon komplizierte Situation nicht noch komplizierter zu machen.
    Nun aber lag ein vorläufiges Scheidungsurteil im Handschuhfach ihres Autos – ihre Zukunft war ein leeres Blatt, und sie war sehr versucht, darauf das eine oder andere Wort zu schreiben.
    Durch die Menge lief ein leises Raunen. Als Lise aufsah, zogen gerade drei gleißend weiße Linien über den Meridian. Die Meteore gingen von einem Punkt deutlich oberhalb des Horizonts aus und flogen beinahe direkt nach Osten. Weitere kamen – zwei, dann einer, dann eine spektakuläre Fünfergruppe.
    Lise musste an einen Sommer in Idaho denken, als sie mit ihrem Vater nach draußen gegangen war, um die Sterne zu betrachten – sie war damals bestimmt nicht älter als zehn. Ihr Vater war in der Zeit vor dem Spin aufgewachsen, und er sprach zu ihr immer von den Sternen, »wie sie früher waren« – bevor die Hypothetischen die Erde ein paar Milliarden Jahre in die Zukunft gerissen hatten. Er vermisse die alten Sternbilder, sagte er, die alten Namen. Aber es gab Meteore in jener Nacht, Dutzende, der größte von ihnen wurde von der unsichtbaren Barriere aufgefangen, die die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher