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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
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schnell etwas zu essen warm machen. Er zog es vor, allein zu essen und sich auf dem Film-Kanal eine alte Folge von »Law and Order« aus der dritten Staffel anzuschauen, die er schon unzählige Male gesehen hatte. Doch jedes Mal entdeckte er etwas Neues. Einen weiteren Ermittlungsfehler, eine zusätzliche Möglichkeit, den Beschuldigten zu entlasten.
    Er trottete weiter die Straße entlang, bog dann nach links ab und ging noch ungefähr drei Minuten an schweigenden im Dunkel liegenden Gebäuden entlang, bis er sein Haus in der Yom Hakipurim erreicht hatte.
    Heute Nacht würde er sich sein Mobiltelefon neben das Bett legen, für den Fall, dass jemand vom Revier anrief.

2
    In dem Augenblick, als er die Streifenwagen vor dem Haus parken sah, wusste er, warum sie gekommen waren. Ein Bauchgefühl, ein scharfes, ätzendes Bewusstwerden in der Tiefe seines Körpers. Und er wusste, dass er bereit war, obgleich er noch nicht verstand, wofür.
    Es war sonderbar, als wäre das Leben in den letzten Jahren zielgerichtet auf diesen Augenblick zugesteuert, ohne dass er davon etwas mitbekommen hatte. Als ereignete sich in ihm eine Explosion, eine Art unverhoffte Geburt: In dem Augenblick, in dem er die Streifenwagen sah, trat ein anderer Mensch aus ihm hervor, der viele Jahre in ihm gewesen war und gewartet hatte. Mit ihrem Sohn Ilay war es genau andersherum gewesen. Neun Monate hatten sie sich vorbereitet, aber mit seiner Geburt war er wie eine Bombe in ihr Leben geplatzt, wie aus dem Nichts. Die Eltern, die aus ihnen hätten werden sollen, kamen nicht zum Vorschein. Im Gegenteil, beide waren sie selbst wieder zu Kindern geworden, ohnmächtig und hilflos.

    Er hatte die Streifenwagen schon von der Kreuzung aus gesehen, als er an der Ampel wartete. Zwei waren vor dem Eingang zum Gebäude abgestellt, und bei beiden stand die Beifahrertür offen. Eine Polizistin in Uniform lehnte an einem der Streifenwagen und sprach in ihr Mobiltelefon. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte ein weißer VW Passat mit Polizeinummernschild.
    Er stellte den Motorroller neben dem Eingang ab und trat ins Treppenhaus. Die Haustür stand offen, und von oben waren Stimmen zu hören. Er ging an der Tür zu ihrer Wohnung vorbei und stieg weiter bis in den dritten Stock. Auch die Wohnungstür von Familie Sharabi war geöffnet, und eine Polizistin stand davor. Alle Türen werden aufgerissen, wenn ein Unglück passiert ist, dachte er. Vielleicht war es das, was er gespürt hatte, etwas war aufgesprungen. Die Polizistin bemerkte ihn und fragte, wer er sei. Er erwiderte: »Ich bin Seev, ein Nachbar aus dem zweiten Stock«, und fragte, ob etwas passiert sei. Sie verneinte und baute sich im Türrahmen auf, um ihm zu signalisieren, dass er keinen Zutritt hatte, obgleich er gar nicht hatte eintreten wollen.
    Michal saß auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ilay schlief in ihrem Arm. Sie war noch immer im Pyjama und sah sich im Fernsehen »Dr. Elephant« an. Die Sonnenblenden vor den Fenstern waren geschlossen, und die Wohnung lag im Halbdunkel. Er fragte, ob sie wisse, was bei den Nachbarn los sei, aber sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass Streifenwagen vor dem Haus standen und offenbar etwas passiert war. Er war früh nach Hause gekommen, sie wirkte überrascht, da er an Donnerstagen sonst immer erst gegen zwei Uhr kam. Flüsternd fragte sie, ob er etwas essen wolle. Danach legte sie Ilay vorsichtig in seinem Zimmer ins Bettchen, öffnete auf dem Balkon die Sonnenblenden einen Spaltbreit und sah nach draußen, dann huschte sie zur Tür und linste ins Treppenhaus. Von oben kamen zwei Polizisten in großen Sprüngen die Treppen herabgestürmt, und Michal beeilte sich, die Tür wieder zu schließen. »Vielleicht ist bei ihnen eingebrochen worden?«, meinte sie.
    Seev erwiderte, um einen Einbruch aufzunehmen, hätten sie doch wohl nicht so viele Beamte losgeschickt.
    »Du machst mir Angst, was soll denn passiert sein?«
    Er nahm sie in den Arm. »Bestimmt nichts Schlimmes.«

    Nach dem Essen saß Seev auf dem Balkon, der, mit Sonnenblenden verschlossen, zu einem provisorischen Arbeitszimmer umfunktioniert worden war, und korrigierte Klausuren. Das machte es ihm möglich, das Geschehen draußen weiterzuverfolgen. Polizisten kamen und gingen. Einer von ihnen, untersetzt und mit Glatze, war offensichtlich der ranghöchste Beamte, da er den anderen Polizisten Anweisungen erteilte. Er wirkte nervös, sprach ununterbrochen in sein Mobiltelefon und wurde dabei immer
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