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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
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    Ofer Sharabi,
    vermisst seit Mittwochmorgen, dem 4. Mai.
    Alter: 16 Jahre. Körperbau: sehr schlank.
    Haar: schwarz und kurz. Größe: durchschnittlich.
    Sollte ihn jemand gesehen haben, möge er bitte mit der Familie Kontakt aufnehmen oder die Polizei informieren.
    Ganz unten auf der Seite waren mehrere Telefonnummern angegeben. Seev fragte sich, wer die Aushänge erstellt haben mochte, da er der Meinung war, dass sie nicht von der Polizei stammten. Sie hingen, so weit das Auge reichte, die ganze Straße des Gewerkschaftsbundes entlang an Strommasten und Straßenschildern, und er erwog, ob er heimlich einen abreißen und mit nach Hause nehmen sollte. Vielleicht würde er ihn noch brauchen. Konnte Ofers Mutter die Vermisstenanzeigen eigenhändig angefertigt haben?
    Vor dem Seniorenheim brachte ein älterer Mann seine Brille so nah an eine der Kopien heran, dass seine Nase das Blatt in der Klarsichthülle fast berührte. Er trug ein verschossenes kariertes Hemd und hielt eine Handtasche aus hellem Leder umklammert.
    Ilay war unruhig und versuchte sich aus den Haltegurten seines Buggys zu befreien. Er bog mit dem Jungen nach rechts in die Schenker-Straße ab und ging bis zum Kiosk an der Ecke zur Choma VeMigdal, wo er für Ilay eine kleine Tüte Erdnussflips kaufte, sie aufriss und Ilay in den Schoß legte. Auf der anderen Straßenseite entdeckte er Sima, die Nachbarin aus dem ersten Stock, die mit den Zähnen einen Streifen transparentes Klebeband abriss und einen der Zettel mit dem Bild Ofers an der Bushaltestelle befestigte. Er machte sich auf den Weg zurück zu seinem Haus. Die Polizeistation war nicht weit davon entfernt.

    Die Polizisten klopften gegen Abend an die Tür, früher als er erwartet hatte. Das war die erste Überraschung. Seev und Michal hatten gerade begonnen, Ilay für die Badewanne auszuziehen. Vor der Tür standen zwei Polizeibeamte, der zu kurz geratene, unbeholfene Mann, den Seev am Nachmittag vom Fenster aus beobachtet hatte, und eine junge Frau, die er zuvor nicht gesehen hatte.
    Der Polizist sagte: »Entschuldigen Sie die Störung, aber Sie wissen sicher, dass der Sohn der Familie Sharabi seit gestern vermisst wird. Im Rahmen unserer Suche befragen wir alle Nachbarn und würden auch Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, wenn es nicht ungelegen kommt.«
    Michal kam mit Ilay, der schon keine Windel mehr trug, aus dem Bad. Der Polizist schien sichtlich verlegen zu sein. Seev schaltete das Treppenhauslicht, das ausgegangen war, nicht wieder an und blieb im Dunkeln stehen.
    Der Polizeibeamte meinte: »Vielleicht möchten Sie, dass wir später wiederkommen, wir können in der Zwischenzeit bei den übrigen Nachbarn vorbeischauen.«
    Aber Seev bat sie herein und erklärte: »Im Gegenteil, es passt gerade ganz gut, der Kleine wird sich freuen, dass ihm die Badewanne noch ein bisschen erspart bleibt.«
    Ilay betrachtete die beiden Polizisten, als sie eintraten, mit konzentriertem und ernstem Blick wie immer, wenn Gäste erschienen. Auf der silbernen Plakette an der Hemdtasche der Polizistin stand ihr Name – Liat Manzur. Seev spürte erneut die innere Explosion vom Mittag, als er nach Hause gekommen war und die Streifenwagen gesehen hatte. Sein zweites Ich war alarmiert. Vielleicht war dies genau genommen der Anfang, dachte er. Er musste sich jedes Detail merken.

    Die Polizisten überraschten ihn abermals. Seev hatte nicht erwartet, dass Michal und er getrennt voneinander befragt werden würden, und verstand nicht, warum der ranghöhere Beamte sich mit seiner Frau in die Küche setzte, während er mit der Polizistin Liat Manzur im Wohnzimmer blieb. Auf dem Tisch in der Küche stand noch der blaue Plastikteller mit den Überresten von Ilays Gemüsebrei, eingerahmt von feuchten Brotstreifen und Krümeln.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er die Polizeibeamtin. Sie verneinte und legte sich ein dunkles Plastikklemmbrett auf die Knie, darauf hing ein Bogen Papier, der mit schwarzem Kugelschreiber in drei Spalten unterteilt war. Über jeder Spalte waren einige Zeilen geschrieben. Seev saß auf dem Sofa, und die Polizistin hatte auf der Kante des Sessels Platz genommen, ihm gegenüber.
    »Wir sind noch dabei, Informationen über den Vermissten zu sammeln«, erklärte sie. »Es würde uns helfen, wenn Sie uns sagen könnten, wann Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben, vielleicht haben Sie ihn ja zufällig gestern oder gar heute noch gesehen, und welchen Eindruck Sie von ihm hatten.«
    Sie
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