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Ave Maria - Roman

Ave Maria - Roman

Titel: Ave Maria - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Mary einen Intensivkurs in Richtung eines volleren Bewusstseins absolvierte und auf
diesem Weg rechts und links schrecklich wütete. Jetzt, wo sie wieder unter Aufsicht war, konnte sie nur einer Person etwas antun: sich selbst.
    Wenn sie sich tatsächlich auf die Wahrheit zubewegte, wurde mir ganz schlecht, wenn ich daran dachte, was sie tun würde, wenn sie dort ankam.

113
    Es fiel mir schwer, mich von Marys Tagebüchern loszurei ßen - von ihren Worten, ihren Ideen und ihrer Wut.
    Zum ersten Mal schien es mir möglich, ja durchaus wahrscheinlich, dass sie tatsächlich diese Serienmorde in Los Angeles begangen hatte.
    Als ich auf die Uhr schaute, war ich schon eine halbe Stunde zu spät für meine Verabredung mit ihrer Haupttherapeutin, Debra Shapiro. Scheiße. Ich musste mich beeilen.
    Dr. Shapiro war gerade dabei, ihr Büro zu verlassen, als ich dort ankam. Ich entschuldigte mich überschwänglich. Shapiro blieb, um mit mir zu sprechen, saß aber auf der Couchkante und hielt die Aktentasche auf dem Schoß.
    »Mary war acht Jahre lang meine Patientin«, sagte sie mir, noch ehe ich sie gefragt hatte.
    »Wie würden Sie sie charakterisieren?«
    »Nicht als Mörderin - interessanterweise. Ich sehe den Vorfall mit ihren Kindern als eine geistige Verwirrung in einer größeren Arena, wenn Sie wollen, ihrer Geisteskrankheit. Sie ist eine sehr kranke Frau, aber alle Impulse zur Gewalttätigkeit wurden vor langer Zeit unterdrückt. Das ist ein Grund, weshalb wir sie hier behalten haben. Sie hat nie etwas durchgestanden.«
    »Wie können Sie da so sicher sein?«, fragte ich Dr. Shapiro. »Besonders in Anbetracht dessen, was geschehen ist.« Vielleicht war Mary nicht der einzige Mensch hier, der etwas verleugnete.
    »Wenn ich vor Gericht aussagen müsste, müsste ich sagen, dass ich nicht sicher sein kann. Doch ich glaube, dass
acht Jahre Interaktion einem gewisse Einblicke verschaffen, Dr. Cross. Meinen Sie nicht auch?«
    Selbstverständlich teilte ich ihre Meinung. Aber nur, wenn die Therapeutin mir noch weitere Erkenntnisse preisgab.
    »Was ist mit den Kindern?«, fragte ich. »In den Tagebüchern habe ich keinerlei Erwähnung gefunden. Aber während der kurzen Zeit, in der ich Mary kennen gelernt habe, waren die Kinder alles, woran sie denken konnte. Sie waren in ihren Gedanken quicklebendig. Sie ist von ihnen besessen.«
    Dr. Shapiro nickte und schaute auf ihre Armbanduhr. »Damit kann ich mich nur schwer anfreunden. Ich könnte eine Theorie anbieten, wonach Marys Therapie sie letztendlich doch zurück in die Gegenwart führt. Die Erinnerung an die Kinder ist langsam, sehr langsam an die Oberfläche gestiegen.
    Als die Kinder in ihr Bewusstsein eindrangen, hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Schuld, die sie zwanzig Jahre lang unterdrückt hat, zu verarbeiten. Nicht indem sie die Kinder am Leben erhielt, wie Sie es geschildert haben. Das könnte erklären, was sie zur Flucht getrieben hatte - sie wollte zurück zu dem Leben mit ihnen. Und genau das ist - aus Marys Sicht - auch geschehen.«
    »Und diese Morde in Kalifornien?« Ich ging absichtlich schnell vor. Dr. Shapiro rutschte hin und her, als würde sie am liebsten aufspringen und hinauslaufen.
    Sie war eindeutig ungeduldig und hätte das Gespräch gern beendet. Ich fragte mich, ob die Patienten in ihren Therapiesitzungen auch dieses Gefühl hatten. »Ich verstehe das einfach nicht. Es ist schwierig, sich vorzustellen, was Mary geschehen ist, nachdem sie von hier weg war, vor allem mit
der Frau, die ich kannte.« Sie schüttelte mehrmals den Kopf hin und her. »Der einzige Teil der Geschichte, der Sinn ergibt, ist Los Angeles.«
    »Wie das?«, fragte ich.
    »Vor einigen Jahren haben sich Leute für ihre Geschichte interessiert. Es kamen ein paar Filmleute. Mary hat den Interviews zugestimmt, aber da sie in der Obhut des Staats war, verfügte sie nicht über das Recht, irgendeine weitergehende Erlaubnis zu erteilen. Im Lauf der Zeit verloren die Leute ihr Interesse und gingen wieder. Ich glaube, das waren die einzigen Besucher, die sie in den letzten Jahren hier hatte.«
    »Wer?« Ich holte mein Notizbuch heraus und schlug es auf. »Darüber muss ich mehr wissen. Gibt es Unterlagen über die Besuche? Irgendwas?«
    »Ich kann mich an keine Namen erinnern«, sagte sie. »Und außerdem fühle ich mich keineswegs wohl dabei, solche Informationen herauszugeben. Ich würde Sie lieber an Dr. Blaisdale zurückverweisen, wenn Sie spezifischere Informationen wollen. Er
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