Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Titel: Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
Helve stand nackt vor dem Feuer, die weißen Glieder von sich gestreckt, und ließ sich von den anderen mit dem frisch gekräuterten Frühlingswasser waschen.
    »Es geht ihr nicht gut«, erwiderte Belina und hob eine Braue. »Am heutigen Beltane-Abend wird Helve auf dem Orakelstuhl sitzen.«
    »Auf dass die Göttin sie erleuchten möge«, sagte Lhiannon trocken, und Belina seufzte. Lhiannon ging in die Ecke, wo die alte Elin in einer Holzschale Kräuter zerrieb, und reichte ihr die soeben erstandenen Mohnsamen. Als sie sich umdrehte, sah sie Coventa den Raum betreten. Doch ihr Lächeln erstarb sogleich, als sie merkte, dass das Mädchen in das gleiche Mitternachtsblau gewandet war wie die anderen Priesterinnen und genau wie sie einen Kranz aus Frühlingsblumen und süßen Kräutern um die Stirn gebunden hatte.
    »Helve, was soll das?«, rief sie. »Das Mädchen ist dafür nicht ausgebildet. Du kannst sie nicht als Dienerin für die Zeremonie einteilen!«
    Helves fahle Augen blitzten vor Verärgerung, ihre Stimme aber klang wie immer süß und leise. »Ohne sie würde die Zahl der Dienerinnen, die mich heute Abend begleiten, ungerade sein, und ich habe Coventa inzwischen eigens angeleitet.« Sie lächelte in Richtung des Mädchens. »Nicht wahr, meine Kleine? Du wirst das sehr gut machen.«
    Sie wird aussehen wie ein Kind in den weiten Röcken seiner Mutter, dachte Lhiannon, aber Coventa strahlte vor Freude. Hilfe suchend blickte sie in die versammelte Runde der anderen Priesterinnen, doch die wichen ihrem Blick tunlichst aus und schwiegen betreten. Nur das Tröpfeln von Wasser war zu hören, das von den eingetunkten Tüchern kam, sowie das Zerreiben von Mohnsamen, das Elin vollführte.
    Lhiannon seufzte und nahm ihren Schleier ab. Wenn Helve so gereizt reagierte, dann hatte sie auch einen Grund. Sie saß heute Abend nicht das erste Mal auf dem Orakelstuhl, aber sie hatte noch nicht oft als Seherin gedient, und Mearans plötzlicher Ausfall hatte ihr nicht viel Zeit gelassen, sich darauf vorzubereiten. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass es, selbstherrlich, wie Helve war, besonders schwierig werden würde, sich ihrem Willen zu übergeben, selbst unter der sanften Führung von Lugovalos, dem Erzdruiden.
    Dabei würde ich mir damit vieles erleichtern, dachte sie bitter. Ich vermag mich ja nicht einmal durchzusetzen, wenn es um Coventa geht. Aber wenigstens konnte sie während des Rituals ein Auge auf das Mädchen haben.
    Über dem Feuerherd bullerte ein kleiner Kessel. Elin gab eine Prise der zerriebenen Mohnsamen hinein, ließ sie mit den Mistelbeeren, Pilzen und anderen Kräutern köcheln, rührte die Mischung um und sang leise dazu.
    Helve plapperte munter weiter, während man ihr die fließenden Roben der Göttlichen Seherin anlegte. Als Lhiannon an sie herantrat, um ihr einen gebundenen Kranz aus Akelei und Frühlingsblumen aufzusetzen, bemerkte sie den Triumph in ihren fahlen Augen.
    Helve wird es nie zulassen, dass ich einmal als Göttliche Seherin auf dem Orakelstuhl sitze. Warum habe ich mir das so lange nicht eingestanden?, fragte sie sich. Sie verbiss sich ein aufsteigendes Hassgefühl, setzte Helve den Kranz auf, und auch die anderen Frauen verstummten schließlich. Elin schöpfte etwas von dem frisch gebrauten Trank in die alte Gagatschale und ließ ihn abkühlen. Da ging der Vorhang auf, und der Erzdruide trat ein, gestützt auf seinen Stock. Sein silberner Bart glänzte gegen die cremefarbene wollene Robe.
    »Es wird Zeit, meine Tochter«, sagte Lugovalos sanft, und Elin übergab die Gagatschale in Helves Hände. Sie holte tief Luft, setzte die Schale an, trank, schauderte kurz und schluckte das Gebräu dann hinunter. Elin und Belina fassten sie an den Ellbogen und geleiteten sie zur Trage, die draußen für sie bereitstand. Als Lhiannon sich hinter ihnen einreihte, spürte sie das Vibrieren der Trommeln durch ihre Fußsohlen, als ob das Herz der Erde den Rhythmus des Festes schlüge.
    Im Westen leuchtete der Himmel in glasigem Blau, das sich über ihren Köpfen zu einem Mitternachtsblau verdunkelte – die Farbe der Roben der Priesterinnen. Vor dem Heiligen Hain hatte sich eine große Menge versammelt. Helve schwankte, als man sie auf den dreibeinigen Orakelstuhl hievte, und Lhiannon fürchtete schon, sie werde fallen, doch bevor sie jemand berühren konnte, saß sie wieder aufrecht und schien immer größer zu werden. Eine warme Brise stieg Lhiannon in die Nase, erfüllt von süßem Blumenduft, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher