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Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit

Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit

Titel: Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit
Autoren: Wolfgang Doll
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von Eda amputieren, ganz wie er sich das bereits gedacht hatte. Er überlegte, welche Hand eigentlich zwischen die Walzen geraten war, die linke oder die rechte, und er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. In dem Augenblick, in dem es geschehen war, war es vollkommen unerheblich, ob es sich um die linke oder die rechte Hand handelte. Natürlich, man konnte mit einer Hand leben. Im Krieg hatten viele Männer eines dieser Gliedmaßen verloren, und alle hatten sich irgendwie arrangiert. Den meisten merkte man es gar nicht an, dass eine Hand fehlte. Und trotzdem: man war einfach kein vollwertiger Mensch mehr. Und was sollte ein Servicetechniker mit nur einer Hand machen? Kaum vorstellbar, dass man ihn in diesem Job weiter beschäftigen konnte. Bernd Take sah seine beiden Hände an und war froh, dass nicht ihm dieses Missgeschick widerfahren war. Er trank den Kaffee aus und warf den leeren Plastikbecher in einen eigens für Kunststoff vorgesehenen Abfallbehälter. Es war wieder Zeit, nach seinen Mitarbeitern zu sehen und den Arbeitsfortgang zu überprüfen.
     
    Erst die Hälfte der Zeitung war gedruckt und es war bereits 3 Uhr und fünf Minuten. Die noch verbleibende Zeit würde niemals ausreichen, um die Ausgabe vollständig fertig zu stellen. Wenn alle Seiten gedruckt waren, mussten sie schließlich noch geschnitten und gefaltet werden, und es war ihm völlig klar, dass einige Menschen heute auf ihre gewohnte Morgenzeitung verzichten mussten. Bernd Take nahm sich eine Seite heraus. Die Menschen gingen immer davon aus, dass Leute, die in einer Verlagsdruckerei arbeiteten, schon längst alles wüssten, was in der Zeitung stand. Am Anfang, als er als junger Mann hier begonnen hatte, da war das tatsächlich der Fall gewesen. Er fühlte sich immer gut, wenn er die neuesten Meldungen wesentlich eher kannte, als all seine Freunde und Nachbarn. Aber mit der Zeit stumpft man ab, und es wird einfach uninteressant, laufend alles früher zu wissen als die anderen. Es war lange her, dass er eine Seite aus der Morgenausgabe herausgezogen hatte.
     
    Schon wieder ein Tankerunglück. Die schottische Westküste wurde von einer Ölpest bedroht, deren Ausmaß im Moment noch nicht abzuschätzen war, weil man nicht absehen konnte, ob der Tanker ganz aus- einander brechen würde oder ob es gelingen würde, ihn noch rechtzeitig zum Leerpumpen in ruhigeres Wasser zu ziehen. Eine Sturmkatastrophe in Sardinien. Ein so genannter Jahrtausendsturm. Und so ging es mit den Horrormeldungen weiter. Jeden Tag das Gleiche. Wenn es kein Tankerunglück war, dann fanden die Redakteure bestimmt irgendeine andere Schreckensmeldung, mit der sie die Menschheit schockieren und die Verkaufszahlen auf dem gewohnt hohen Niveau halten konnten.
     
    Er zerknüllte die Seite der Zeitung und warf sie in einen Papierkorb. Es lohnte sich wirklich nicht mehr, die Meldungen früher zu kennen als alle anderen. Es lohnte sich eigentlich nicht einmal mehr, überhaupt noch Meldungen zu lesen. Die meisten waren negativ und der Rest oft gelogen. Aber wen interessierte das schon. Die Hauptsache war, dass die Leserschaft gehalten werden konnte. Alles andere war Nebensache. Insgeheim freute er sich, dass heute einige Menschen auf die gewohnte Morgenzeitung würden verzichten müssen. Er stellte sich vor, wie sein Nachbar, der in jeder Beziehung ein Pedant war, zum Briefkasten ging, um die Zeitung zu entnehmen und nur in ein leeres Loch starrte. Wahrscheinlich würde er mehrmals überprüfen, ob er sich nicht etwa getäuscht hätte. Aber dann würde er bestimmt umgehend beim Zusteller anrufen und sich beschweren. Anschließend würde er übelgelaunt sein Frühstück zu sich nehmen, und den Tag als einen seiner schlechtesten im Kalender verzeichnen.
     
    Bernd ging seine Runde und überprüfte jedes Kontrollinstrument. Alles lief einwandfrei. Sämtliche Funktionen waren so, wie sie sein sollten und wie sie in der Regel auch immer waren. Aber wehe die Regel wurde einmal durchbrochen, so wie das vor wenigen Minuten noch der Fall gewesen war. Alles lief dann einfach schief. Wir können eben ohne Regel nicht mehr leben, dachte er. Ohne Regel sind wir hilflos, weil wir uns immer nur auf die Regel verlassen. Uns ist der natürliche Umgang mit dem Spontanen völlig verloren gegangen.
    Er blickte auf die Uhr. Noch ein paar Sekunden, dann würde es 3 Uhr 30 sein. Die Zeit verging langsam und reichte bei weitem doch nicht aus, um die verlorenen Stunden wieder gutzumachen.
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