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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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Zimmerpflanze. Es gab nur eine. Ficus benjamina.
    Dr. Dr. Ewers bekam die
     Leiche des leitenden Angestellten Bernd Zisska noch am Vormittag auf den
     Sektionstisch in der Oranienstraße. Die Todesursache war eindeutig.
     Erdrosselung durch einen weichen Stoff, sehr wahrscheinlich durch den
     Polyacrylschal, der bei der Leiche gefunden worden war. Man konnte davon
     ausgehen, daß der Schal dem Täter gehörte.
    »Wer trägt schon
     einen Schal bei diesen Temperaturen? Nur eiskalte Mörder!«
     flapste Ewers zu seinem Assistenten, der seltsamerweise nicht lachte. Dann
     eben nicht, du Arsch, dachte Ewers und öffnete mit einem langen
     Schnitt die Bauchdecke des Toten.
    Gegen Mittag wurde Nabel zu
     einem dringenden Einsatz gerufen, obwohl er sich bis drei Uhr freigenommen
     hatte, um endlich zum Friseur zu gehen. Ahmed holte ihn stattdessen mit
     dem Wagen ab. Nabel besaß seit letztem Jahr keinen Führerschein
     mehr, zu viele Punkte in Flensburg, die dortigen Bürokraten machten
     auch bei Kommissaren keine Ausnahme. Demütigend. Inzwischen hatte er
     sich ans U-Bahn-Fahren gewöhnt, man kam damit genauso schnell, in der
     Stoßzeit sogar schneller voran. Dennoch: demütigend. Ahmed wußte
     um die Gefühle seines Chefs und holte ihn zur Arbeit ab, wann immer
     das möglich war.
    KK Ahmed Müller-Dogan, fünfundzwanzig,
     Sohn deutsch-türkischer Eltern, war ein durchtrainiertes Kraftpaket,
     beherrschte mehrere Kampfsportarten, blieb dabei stets höflich und
     sensibel. Seine Sprachkenntnisse waren in Neukölln und Kreuzberg,
     Bezirken, in denen der Ausländeranteil bis zu vierzig Prozent
     ausmachte, Gold wert. Mag sein, er war nicht der Hellste und Schnellste im
     Team, aber der Beliebteste, zweifellos. Und der Braungebrannteste. Sein
     Credo lautete, daß die Sonne ein natürliches Reinigungsmittel
     sei, mit deren Hilfe alles Negative aus dem Körper herausgebrannt
     werden könne. In dieser Hinsicht war er etwas eigen, und provokanten
     Fragen, ob er nicht Angst vor Hautkrebs habe, gönnte er nie eine
     Antwort.
    Sieben recht ruhige Wochen
     waren vorüber, der Wahnsinn begann. Für die beginnende Woche würden
     Nabel und seine Kollegen von der Mordkommission Nummer acht dem Turnus gemäß
     zuständig für alle Gewaltverbrechen mit Todesfolge zweier
     Bezirke Berlins sein.
    Unten hupte Ahmed zweimal.
     Als Nabel zu ihm ins Auto stieg, war er vom Gürtel aufwärts nur
     mit einem kurzärmligen weißen Hemd bekleidet, was seine
     Vorgesetzten nicht gerne gesehen hätten, hätten sie es denn
     gesehen.
    »Morgen, Chef.«
     Ahmed gab bereits Gas, bevor Nabel die Beifahrertür schließen
     konnte.
    »Was gibts?«
    Charles Wilkins schraubte den
     Deckel auf die Linse und schnaufte erleichtert. Jemand fragte, ob alles in
     Ordnung sei. Wilkins verstand kaum ein Wort Deutsch, gerade mal kartoffel,
     heil hitler und ausweis, erriet jedoch, was gemeint sein mußte, und
     lächelte demonstrativ. Als er den Triple-Whopper zum Mund hob, war er
     glücklich. Er dachte an seine jüngste Tochter, schwanger von
     einem Immobilienmakler, der sie heiraten wollte, wenn er, der künftige
     Schwiegervater, ihm einen zinsgünstigen Kredit beschaffen würde.
     Es sprach nicht viel dagegen. In seiner Position konnte Wilkins frei
     entscheiden, auch bei fragwürdiger Bonität. Es machte ihn glücklich,
     daran zu denken, etwas für ein junges Paar so Wichtiges in die Gänge
     bringen zu können, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.
     Darauf hatte er sein Leben lang hingearbeitet. Die Coke war nicht so kalt,
     wie sie hätte sein müssen. Er liebte es, wenn ihm nach dem
     ersten Schluck die Kehle weh tat vor Kälte.
    Sekunden später wurde
     ihm sonderbar. Er schwitzte, sein Puls raste, er hielt es für
     Reisestreß, aß weiter, ihm wurde schlecht. Wilkins, obgleich
     niemand im Restaurant auf ihn achtete, lächelte noch einmal, wie um
     sich zu entschuldigen, halb freundlich, halb verkrampft, dann beschloß
     er, präventiv die Toilette aufzusuchen. Was ihm nicht mehr gelang. Er
     stürzte zu Boden, mit Schaum vor dem Mund, lag konvulsivisch zuckend
     zwischen zwei Tischen, an denen fünfzehnjährige Schülerinnen
     Eis aßen und nicht umhin konnten, blöde zu kichern. Sie schrien
     erst auf, als Wilkins grünen Schleim erbrach.
    Es war ihm peinlich,
     unendlich peinlich, sein letzter Gedanke: »Embarassing … my
     God!« So starb er, beide Hände vergeblich auf den Mund gepreßt,
     aus dem ohne Ende grüner Schleim
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