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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Fricker
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streiften wir durch eine jetzt fremde, aufregende Stadt. Wir wurden und wurden nicht müde. Wir sahen an jeder Ecke neue Wunder, einer durch die Augen des anderen. Erst im Morgengrauen setzten wir uns auf eine Bank, unsere Gesichter aneinandergelehnt schliefen wir ein.
    Rufus hatte sich auf dem dritten Stuhl eingerollt und schnurrte. Weil er so mager geworden war und seit einiger Zeit blutig pinkelte, war ich mit ihm beim Tierarzt gewesen. Rufus hatte einen Nierentumor, zwar noch keine Metastasen, aber das sei nur eine Frage der Zeit. Es wäre vernünftig, sagte der Tierarzt, ihn gleich einzuschläfern. Ich konnte nicht, ich brachte es einfach nicht übers Herz. Sebastian fand, es sei egoistisch, den Kater unnötig leiden zu lassen, nur weil man zu feige ist, eine Entscheidung zu treffen. Es würde ja nur schlimmer werden. Aber als wolle mir Rufus für den Aufschub danken, ging es ihm seit einer Woche viel besser.
    Wir brauchen etwa drei Stunden, sagte ich, je nach Verkehr, und sah auf die Uhr. Sebastian hatte gerade einen Schluck Kaffee genommen und grunzte nur. Ich hatte vor Sebastian noch nie lange mit einem Mann zusammengelebt. Er verschluckte sich, hustete. Keinen Stress, keuchte er. Bitte! Ich will keinen Stress heut früh. Ich klopfte ihm auf den Rücken.
    Wann waren wir eigentlich zuletzt planlos fort gewesen? Losfahren. Nirgends lange bleiben. Nicht wissen, was morgen sein wird.
    In unserem ersten Sommer trampten wir nach Südfrankreich. Frühmorgens standen wir bei Dreilinden an der Autobahn. Es nieselte. Sebastian trug den Rucksack. Was mich am meisten an ihm beeindruckte, war seine Nase. Die Nasenflügel, dünnwandige, weite, je nach Windrichtung und Wetterlage sich blähende oder erregt vibrierende Segel. Und natürlich die Augen. Diese wasserblauen Augen. Augen, in denen alle Flüsse der Welt zusammenzufließen schienen. Wechselnde Stimmungen, ständig in Bewegung. Schnellen, Gischt, weites Delta, bevor der Strom ins Meer fließt. Ein klares, kantiges Gesicht. Und er sah immer ein bisschen zu jung aus.
    Ich sollte die Autos anhalten, weil eine Frau beim Trampen normalerweise mehr Glück habe, Sebastian stand trocken unter dem Vordach einer Speditionsfirma. Das ist ungerecht, protestierte ich, er schnitt nur Grimassen. Ich musste lachen. Mit ausgebreiteten Armen balancierte ich auf der Seitenmarkierung der Auffahrt hin und her. Mir war nach Hüpfen zumute, nach Tanzen.
    Es war gar nicht schwierig, wir warteten kaum eine halbe Stunde, da hielt eine Frau an. Bis Frankfurt. Das war doch schon ganz gut für den Anfang. Thomas, ein Kommilitone, hatte in Südfrankreich einen alten Kutter gekauft. Er wollte den ganzen Sommer dort verbringen und hatte uns und andere eingeladen, ihm ein paar Tage beim Renovieren zu helfen. Danach wollten wir weiter, nach Spanien oder hinauf in die Bretagne.
    Hinter Erfurt wurde das Wetter besser, streckenweise schien sogar die Sonne. Sie fahre pro Woche Tausende Kilometer, sagte die Frau. Bis nach Österreich und in die Schweiz. Vertreterin für Kaffeemaschinen. Sebastian saß vorne. Ich war müde, hatte keine Lust zu reden. Von weit her hörte ich murmelnde dunkle Stimmen, einzelne Wörter, Schwerin, Wasserschloss, oder war es Schlossgarten, das leise satte Brummen des Motors.
    Als ich die Augen aufschlug, sah ich rechts und links Planen von Lastwagen. Wir sind da, sagte Sebastian. Wo sind wir? In Südfrankreich? Wetterau West, sagte die Frau, es tue ihr leid, sie müsse in die Innenstadt. Hier hätten wir die besten Chancen weiterzukommen. Wir stiegen aus. Danke fürs Mitnehmen, sagte ich und gab ihr die Hand. Sebastian umarmte sie. Das fand ich übertrieben. Wir würden sie nie wiedersehen. Hatten die beiden, während ich schlief, Gemeinsamkeiten entdeckt?
    Wir betraten das Restaurant. Was ist, fragte Sebastian. Nichts, sagte ich. Eifersüchtig? Hör mal. Er stieß mich an. Ich senkte den Kopf. Ein bisschen. Brauchst du nicht, sagte er, echt nicht!
    Ich sah durch die Fensterfront nach draußen. Parkplätze. Kommen und Gehen. Stummes Palaver, störrische Kinder, gereizte Eltern. Hunde pinkelten auf die zertretenen gelben Rasenflächen. Vor dem Band der rasenden Fahrzeuge. Zerbrechliche Verhältnisse in bunten Geschossen. Hast du Hunger, fragte Sebastian. Nein, noch nicht.
    Der nächste, der uns mitnahm, war eine Katastrophe. Eine Art Hippie mit seiner Rostlaube, ein stinkender, wankender, pink gestrichener VW-Käfer. Lässig sprach uns der Typ auf dem Parkplatz an. Er sehe doch
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