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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Fricker
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Händen klammerte er sich an den Haltegriff. Ich umfasste ihn mit meinen Beinen, lehnte mich zurück. Er atmete stoßweise. Im Überlauf gluckerte das Wasser. Ich nahm das Plastikschiffchen aus der Seifenschale. Roter Rumpf, blaue Aufbauten. Ließ es zu Wasser zwischen den Inseln unserer Knie. Ich sorgte für Stürme, für Flauten. Das Schiffchen trotzte tapfer den Fluten. Lief auf Strände, drohte an Klippen zu zerschellen. Ging nicht unter.
    Er löste eine Hand vom Griff. Unverändert blieb die Haltung seines Körpers. Er holte aus und versenkte das Schiffchen mit einem einzigen Schlag. Verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. Aber schwupps, tauchte es wieder auf. Er schlug erneut zu. Patsch, patsch, patsch. Ich nahm das Schiffchen und legte es zurück in die Seifenschale. Mit dem Waschlappen säuberte ich sachte sein Gesicht, den Hals, die Schultern, die Brust. Er ließ es geschehen. Dort, unter dem Brustbein irgendwo, würden sie das Loch für die Sonde machen. Mit einer großen Plastikspritze würde Nahrungsbrei direkt in den Magen gespritzt werden. Siehst du, ich bin ganz vorsichtig, ist doch gar nicht schlimm. Das Telefon klingelte. Mutters Stimme aus dem Flur, ob wir da seien? Hallo. Halloo? Pause. Wegen Weihnachten. Ob wir gesagt hätten am zweiundzwanzigsten oder dreiundzwanzigsten? Allmählich begann das Wasser kühl zu werden. Ich half ihm heraus, trocknete ihn ab und massierte ihn mit seiner Lotion ein. Den ganzen Körper. Zog ihm einen frischen Pyjama an. Beim Zähneputzen biss er auf die Zahnbürste. Fletschte die Zähne, die Bürste dazwischen. Sah in den Spiegel. Das bist du, sagte ich zum Spiegel. Gefletschte Zähne. Dreitagebart. Fehlt zum Piraten nur noch das Messer zwischen den Zähnen. Er gab die Bürste frei und ich putzte weiter die Zähne. Das Wasser zum Spülen schluckte er hinunter.
    Ich schäumte seinen Bart ein. Geübte, sichere Striche mit der Klinge. Nie passierte es mir, dass ich aus Versehen in die Haut schnitt. Zum Schluss bürstete ich ihm das Haar. Die Kopfhaut schimmerte rot durch das Grau des Stoppelhaares. Ich bürstete mit und gegen den Strich. Schuppen fielen ihm auf die Schulter. Ich wischte sie weg. Er schloss die Augen nicht, er blieb angespannt.
    Wir gingen hinüber ins Schlafzimmer. Ich stöpselte den Katheter an den Schlauch des Nachtbeutels. Immer hatte ich Angst, er verheddere sich. Irgendwann müsste man auch für den Urin ein Stoma anlegen. Einen Tunnel in die Bauchwand bohren, der direkt zur Blase führt, ausgekleidet mit Darmschleimhaut. Ich hob ihm die Beine unter das Laken, deckte ihn zu. Setzte mich zu ihm ans Bett.
    Die bläulich teigige, schier durchsichtige Haut. Die Muskelstränge seitlich des Halses gespannt. Der in den Nacken zurückgebogene Kopf. Die Augen, weit offen, stierten vorbei an den Ornamenten der Rosette aus Stuck.
    Bastian, hörst du mich?
    Sein Atem ging mühsam, gepresst. Ich versuchte, ihn bequemer zu betten. Aber er verkrampfte sich nur noch mehr.
    Ich holte den Rucksack aus dem Flur, ging in die Küche. Nahm Tabletten und Tropfen heraus. All die Medikamente, ohne die er nicht mehr am Leben wäre. Ich gab sie in ein Schälchen, nahm den Indianerpfeil. Zerdrückte mit dem Schaft die Tabletten und Dragees. Zog die Hüllen der Kapseln auseinander, klopfte das Pulver heraus. Zweifelnd, ob das genug sei, ob das auch sicher reichen würde, holte ich die Restund Notfallmedikamente aus dem Bad. Zerdrückte auch sie. Leerte alles in die Schnabeltasse, schüttete das ganze Fläschchen Tropfen dazu. Füllte auf mit süßem Tee. Rührte, bis sich das Gemisch mehr oder weniger aufgelöst hatte.
    Klemmte den Deckel fest.
    Ich nahm die Kerze mit ins Schlafzimmer. Stellte sie auf den Nachttisch.
    Bastian?
    Ich fasste ihn um die Schulter, legte ihm drei Kissen in den Rücken, stützte den Kopf.
    Ich strich ihm mit dem Schnabel über den Mund. Setzte ihn an, kippte vorsichtig. Ich sah an seinem Adamsapfel, dass er schluckte.
    Er schluckte. Fünfmal, dann war die Tasse leer.
    Ich nahm die Kissen weg, ließ ihn behutsam zurücksinken.
    Ich strich ihm über die Stirn.
    Ich zog den Bademantel aus, legte mich zu ihm ins Bett. Nahm seine Hand.
    Ich summte, sang leise.
    Der Mond ist aufgegangen.
    Er schloss die Augen.
    Ein kalter Luftzug schlich vom spaltbreit offenen Fenster quer durchs Zimmer, ein paar Schneeflocken stoben herein. Die Kerze flackerte. Ich zog die Decke noch etwas höher, bis unters Kinn.
    Sein Atem wurde nach und nach ruhiger, flacher. Unsere
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