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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz
Autoren: Helmut Schmidt
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wollen, was das Publikum nicht haben will. Jahrzehnte später übernahm ich den Vorsitz im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau; die KfW war damals keine Geschäftsbank, sondern eher eine Verwaltungsbehörde, ein verlängerter Arm des Finanzministeriums – deshalb habe ich dort nichts Wichtiges dazugelernt.
    Eigene unternehmerische Erfahrungen habe ich erst nach meiner Zeit in öffentlichen Ämtern erwerben können,von 1983 an, als mein früherer CDU-Bundestagskollege und späterer Freund Gerd Bucerius mich zum Herausgeber und (für einige Jahre) zu einem von zwei Geschäftsführern des ihm gehörenden Verlages der Wochenzeitung DIE ZEIT machte. Wir kannten uns seit 1949. Nach 1953 haben wir gemeinsam mit zwei weiteren Politikern aus Bremen und Hamburg den Wiederaufbau der deutschen Seeschiffahrt durchsetzen können, zunächst gegen den Willen der Alliierten. Meine Kollegin in der Geschäftsführung der ZEIT war die umsichtige Hilde von Lang, von der ich vieles lernte; auch der temperamentvolle Verleger-Eigentümer selbst war jeden Tag im Geschäft und nahm aktiv an allem Anteil. Meine Aufgabe lag auf der publizistischen Seite, in der Zusammenarbeit mit der Redaktion unter Theo Sommer.
    Inzwischen sind Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius schon seit einigen Jahren nicht mehr unter den Lebenden, die Chefredaktion hat mehrfach gewechselt, der Verlag wurde an die Holtzbrinck-Gruppe verkauft. Der publizistische Erfolg ist der ZEIT gleichwohl treu geblieben; kaufmännisch ist sie, nach einer kurzen Verlustperiode, schon lang wieder aus den roten Zahlen heraus. Jedoch erinnere ich mich deutlich an die Zeiten, in denen wir mit Besorgnis Woche für Woche Auflage und Umsatz verfolgten und mit Bangen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz entgegensahen. Damals habe ich das immer wiederkehrende Risiko des unternehmerischen Eigentümers begriffen. Vor allem aber habe ich gelernt, wie man eine Zeitung macht; und ich habe gelernt, daß ein Journalist nicht populistisch nach Tagesapplaus gieren darf, gleichwohl aber interessant zu lesen sein muß.
    Politiker und Journalisten leben in einer antagonistischen Symbiose: Einer kann nicht leben ohne den anderen. Aber sie sind einander nicht besonders wohlgesinnt und beobachten sich gegenseitig mit unterschwelligem Argwohn. Dabei sind ihnen mindestens zwei Probleme gemeinsam. Zum einen sollen sie schon heute über Themen und Sachverhalte reden oder schreiben, die sie erst morgen oder übermorgen ausreichend verstehen; zum andern sind beide darauf angewiesen, ihr jeweiliges Publikum zu faszinieren. Beide Berufe sind deshalb großen Versuchungen ausgesetzt – sei es mit Blick auf Wählerstimmen, sei es mit Blick auf Auflage oder Einschaltquote. Beide sind Teil der politischen Klasse, aber in beiden Berufen reicht die Spannweite vom Staatsmann bis zum Delinquenten.
    Als ich 1983 von der aktiven Politik in die ZEIT wechselte, haben einige Journalisten von einem Wechsel auf die »andere Seite der Barrikade« gesprochen. Ich habe das keineswegs so empfunden. Vielmehr war das Angebot des Verlegers ein Glücksfall für mich. Ich habe in dem »Seitenwechsel« auch deshalb kein Problem gesehen, weil es für mich hier wie dort in gleicher Weise geboten erscheint, für Durchsichtigkeit und Überblick einzutreten. Auf beiden Feldern soll man das eigene Urteil plausibel begründen können – und dabei wahrhaftig bleiben. Ein Journalist, der seiner Verantwortung nicht gerecht wird, kann die Demokratie genauso beschädigen wie ein verantwortungslos handelnder Politiker.
    Ich habe sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten eine größere Zahl von Journalisten kennenlernen dürfen, die aus Verantwortungsbewußtsein eine Information für sich behielten und sie nicht öffentlich verwertet haben. Als ich Ende 1969 als Verteidigungsminister die Befehlsgewalt über die Bundeswehr übernahm, fand ich zum Beispiel Pläne zu militärischen Vorbereitungen für einen Atomminengürtel quer durch Deutschland (Atomic Demolition Means, ADM). Die Löcher waren schon gebohrt. Weil das Militär eine politische Kontrolle seiner potentiellen atomaren Verteidigung verhindern wollte, waren die Pläne vor dem Bundestag geheimgehalten worden. Von diesen Atomminen hatten einige Journalisten gehört – und haben geschwiegen. Sie haben auch geschwiegen, als sie später erfuhren, daß mein amerikanischer Verteidigungsminister-Kollege Melvin Laird und ich gemeinsam die Einsatzvorbereitungen ganz
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