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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz
Autoren: Helmut Schmidt
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Gesetzgeber erkannt, daß ein regelmäßiger Wechsel geboten ist, um ein ansonsten mögliches Zusammenspiel zwischen Unternehmensvorstand und Wirtschaftsprüfer zu unterbinden.
    Meine Erfahrungen in diesen drei Gesellschaften zusammenfassend und verallgemeinernd, darf ich sagen: Wenn ein Vorstand sich mit seinem gewählten Betriebsrat nicht einigen kann, liegt die größere Schuld meist beim Vorstand. Sofern es um die Existenz der Firma und die Erhaltung von Arbeitsplätzen geht, haben die gewählten Betriebsräte im übrigen meist mehr ökonomische Vernunft als die oft stark an Macht- und Prestigefragen orientierten hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre, die im Aufsichtsrat sitzen; allerdings sind diese oft eloquenter als die Betriebsräte. Insgesamt habe ich keinen Grund gehabt, meine Vorstellung vom Prinzip der Mitbestimmung als einem wichtigen Faktor des sozialen Friedens einzuschränken. Die propagandistisch-polemische Kritik an den Gesetzen zur Betriebsverfassung und zur Mitbestimmung durch unternehmerische Verbandsfunktionäre und einige neo-liberale Wortführer läßt mich immer noch ebenso unberührt wie ehedem.
    Mein Aufsichtsratsmandat in der Ruhrkohle AG hat mich eine wichtige Einsicht auf einem ganz anderen Felde gewinnen lassen. Wohl auf Vorschlag meines Freundes Adolf Schmidt, damals Vorsitzender der Bergarbeitergewerkschaft, war ich von der Belegschaft als Vertreter der Arbeitnehmerseite bestellt worden. Ich habe dieses Mandat besonders gern angenommen, hatte ich doch zu Zeiten der Großen Koalition in Bonn aus Überzeugung an der Zusammenfassung aller Steinkohlebergwerke in der Ruhrkohle AG mitgewirkt. Und ich war an dem sogenannten Jahrhundert-Vertrag beteiligt, der 1980 für anderthalb Jahrzehnte die Verstromung eines Teils der geförderten Kohle und damit den Absatz sicherte. Ich hatte viele Male Bergwerke besucht, war in vielen Gruben eingefahren und hatte – von der Staublunge bis zum täglichen Unfallrisiko – eine klare Vorstellung von der Schwerstarbeit unter Tage.
    Ich wußte zwar, daß an der Ruhr die Kosten und die Preise unwirtschaftlich hoch waren und die Förderkapazität zu groß, so daß weitere Zechen stillgelegt werden mußten; ich kannte die Gesetze, die für soziale Verträglichkeit sorgten, indem sie die betroffenen Bergleute vorzeitig in Rente schickten. Jetzt aber erlebte ich diese Vorgänge hautnah, jedes Jahr erneut. Da es eine ähnliche »soziale Abfederung« massenhaft auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen gab, in denen Arbeitsplätze abgebaut wurden, ahnte ich in den späten achtziger Jahren erstmals etwas von der unvermeidlich drohenden Überforderung unserer Sozialversicherung. Für die Ruhrkohle AG sah ich damals keinen Ausweg; vielmehr habe ich im Interesse der betroffenen Kumpels an der Frühverrentung mitgewirkt.
    Um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung besser zu verstehen und für die Lösung einzelner Probleme gerüstet zu sein, habe ich schon früh das Gespräch mit urteilskräftigen Menschen aus der Wirtschaft gesucht, ja, ich habe solche Gespräche, die oftmals unter vier Augen geführt wurden, nahezu systematisch herbeigeführt. Dabei ist mir klargeworden, daß Unternehmer und Manager keineswegs einem mehr oder minder einheitlichen Typus angehören. Sie unterscheiden sich in ihrer Urteilskraft ebenso voneinander wie andere Menschen auch.
    Einige Eigentümer-Unternehmer sind mir als besonders ausgeprägte Charaktere in guter Erinnerung. Manche von ihnen habe ich schon in der ersten Hälfte meines Lebens in Hamburg kennengelernt. Dazu gehörte der sehr bescheiden auftretende Film- und Fernsehproduzent Gyula Trebitsch; er hatte einen sechsten Sinn für das, was das Publikum sehen und hören wollte, aber sein Streben galt nicht so sehr dem Umsatz und dem Wachstum seiner Firma als vielmehr der Qualität und der moralischen Anständigkeit seiner Filme. Als ich Werner Otto kennenlernte, war er ein mittelständischer Versandhandelskaufmann. Er trat ähnlich zurückhaltend auf wie Trebitsch, hat aber dank kaufmännischer und organisatorischer Begabung still und leise einen großen Konzern aufgebaut. Ganz anders wiederum war Kurt Körber, ein erfolgreicher Ingenieur und Erfinder mit immer wieder neuen Ideen; zwar genoß er, leicht extrovertiert, seinen unternehmerischen Erfolg, aber den größten Teil seines schnell wachsenden Vermögens machte er dem öffentlichen Wohl verfügbar. Auch Gerd Bucerius und Alfred Toepfer sind hier zu nennen. Die
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