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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz
Autoren: Helmut Schmidt
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ist nur ein geringer Trost.
    Die wahrscheinlich älteste der deutschen Beratungsinstitutionen ist die Kultusministerkonferenz der Bundesländer (KMK); sie geht auf eine Anregung eines damaligen ostdeutschen Ministers zurück und stammt aus dem Jahr 1948. Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 wurde die Kultur (in einem sehr engen Sinne) verfassungsrechtlich in die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Die Regierungen der Bundesländer glaubten aber, daß auf manchen kulturpolitischen Gebieten bundeseinheitliche Regeln nötig seien; deshalb haben sie die KMK beibehalten – nunmehr ohne Beteiligung Ostdeutschlands.
    Im Laufe der Jahre hat sich die KMK einen eigenen behördlichen Unterbau im Umfang eines mittleren Bundesministeriums geschaffen und sich ganz erhebliche Kompetenzen angeeignet. Dabei ist diese Behörde weder im Grundgesetz vorgesehen, noch wird sie von einem Parlament kontrolliert. Ihre Leistungsfähigkeit ist am besten an dem Rechtschreibungswirrwarr zu erkennen, den sie zum allgemeinen Ärger angerichtet hat. Trotzdem haben sich die Regierungschefs der Länder bisher nicht zur Abschaffung dieser dicht am Rande der Legalität funktionierenden Behörde entschließen mögen. Es handelt sich – nebenbei gesagt – um ein Paradebeispiel für die allgemeine Lebenserfahrung, nach der eine einmal geschaffene Bürokratie die Tendenz verfolgt, ihre Kompetenzen nach Möglichkeit auszuweiten, jedenfalls aber ihre Existenz zu perpetuieren.
    Weil kein Politiker alle Felder selbst überblicken kann, muß er sich oft auf diejenigen seiner Kollegen verlassen, die er auf ihrem Spezialgebiet als urteilssicher und zuverlässig kennengelernt hat. Für sie hat der alltägliche Sprachgebrauch den Begriff »Experte« eingeführt (Wirtschaftsexperten, Verkehrsexperten, Verteidigungsexperten usw.). Jedes Parlament braucht in den Reihen seiner Mitglieder solche Experten, sie haben oft großen Einfluß auf wichtige Entscheidungen. Ich erinnere mich mit besonderem Respekt an den Juristen Adolf Arndt, der in den fünfziger und sechziger Jahren in seiner Person profunde Urteilskraft mit stringenter Moral und außerdem mit großer Beredsamkeit verband. Ich habe mich innerlich seiner Führung gern anvertraut.
    Es gibt in der Politik freilich auch den glatten Typus, der sich zumeist eine Hintertür offenhält. Klug ausgedachte Schlagworte und zugleich persönliche Unverbindlichkeit – »einerseits, andererseits«! –sind Faktoren seiner Popularitätswerte. Solche Leute darf man nicht allzu nahe an sich herankommen lassen. Die große Mehrzahl der Frauen und Männer, die ich im Bundestag und in der Politik etwas näher kennengelernt habe, war dagegen von offenem und redlichem Charakter. Von sehr vielen hat man etwas gelernt, sei es in kontroverser Debatte oder im persönlichen Gespräch. Zwar tendiert die parlamentarische Debatte in der Parteiendemokratie zwangsläufig zur Schwarz-Weiß-Malerei und zur polemischen Überbetonung der Kontraste. Wenn sich aber in einer Person hohe Beredsamkeit mit herausragender Urteilskraft und Glaubwürdigkeit paart, dann darf man von einer Führungspersönlichkeit sprechen. Als solche habe ich bald nach dem Krieg Kurt Schumacher und Ludwig Erhard erlebt. Später haben die völlig unterschiedlichen, aber gleicherweise eruptivpolemischen Redner Herbert Wehner und Franz Josef Strauß oft genug den Bundestag zur einen Hälfte empört und provoziert, zur anderen Hälfte zu emphatischem Beifall hingerissen. Dabei bildeten sich Anhängerschaften, die bisweilen zu bedingungsloser Gefolgschaft neigten. Weil im Laufe der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die Fernsehübertragung großer Bundestagsdebatten eine das allgemeine Publikum politisierende und emotionalisierende Bedeutung erlangte, reichte der politische Streit oft weit über das Parlament hinaus.
    Manch einer verlor in diesem Prozeß seine persönliche Urteilsfähigkeit; andere entwickelten sich zu Höflingen, und einige der Höflinge nützten ihre Stellung am Hofe zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele. Um Kanzler Brandt herum sammelten sich zum Beispiel nicht nur seine beamteten Berater und Redenschreiber, sondern auch Bewunderer und Einflüsterer. Brandt neigte nicht zur verfassungsrechtlichen oder militärstrategischen oder ökonomischen Analyse, er suchte und fand seine Urteile mehr im Gespräch mit seiner unmittelbaren persönlichen Umgebung. Der Kreis reichte von den Amtspersonen Egon Bahr und Horst Ehmke bis zu Günter Gaus, Günter Grass
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